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Digitales Deutsch-Japanisches Studienprogramm für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe 2022

Schwerpunkt Delegation A2: „Armut in Kindheit und Jugend: Herausforderungen und Lösungsansätze“ Ergebnisbericht der deutschen Teilnehmerin der Delegation A2 Gina BUCHARDT, SterniPark gGmbH (Freier Träger der Jugendhilfe), Sozialpädagogin, Kinderschutzfachkraft, Leitung Berufs-/Fachschule

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Im Winter 2022 wurde uns die Möglichkeit gegeben, als Teilnehmende der deutschen Delegation am digitalen Deutsch-Japanischen Studienprogramm für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe teilzunehmen. Im Folgenden möchte ich kurz meine Eindrücke, Lernerfahrungen und die Auswirkungen auf unsere Arbeit teilen.

Der Beginn des gemeinsamen Studienprogramms bestand aus einer Vorstellung aller deutschen und japanischen Teilnehmenden. Mit einer kurzen Präsentation sollten wir unseren beruflichen Werdegang sowie unsere fachlichen Schwerpunkte darstellen. Unsere deutsch-japanische Gruppe zeichnete sich auf Seiten beider Länder durch sehr unterschiedliche Lebensläufe und Erfahrungen aus und half uns dabei, den eigenen Horizont zu erweitern. Einblicke in die anderen Arbeitsweisen und damit einhergehenden Problemfelder bereicherte durch neue Perspektiven auch das eigene Tätigkeitsfeld. Auch die Rückmeldungen zur eigenen Vorstellung wurde als sehr hilfreich empfunden. Im Alltag tritt oft eine gewisse Gewöhnung ein; das eigene Tun durch die Augen der japanischen aber auch der anderen deutschen Teilnehmenden auf ganz neue Weise gespiegelt zu bekommen hat dabei geholfen, frischen Wind in den Arbeitsalltag zu bringen. Besonders geprägt hat jedoch die Offenheit und Ehrlichkeit aller Teilnehmenden. Das Teilen eigener Biografien, mit Brüchen und gelingenden Momenten, Lernerfahrungen und prägenden Ereignissen, zeigte ein schnell wachsendes Vertrauen der Gruppenmitglieder untereinander.

Nach dem ersten Kennenlernen folgten zwei Fachvorträge. Der deutsche Vortrag zeigte konkrete Lösungsansätze zum Thema Armut auf den Ebenen der Kommunen, Bundesländer und Bund; der japanische Vortrag hingegen hob besonders die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf von Armut betroffenen Familien hervor. Interessanterweise zeigte sich dabei, dass beide Industrienationen trotz kultureller Unterschiede mit sehr ähnlichen sozialen Herausforderungen umzugehen haben und auch beim Themenkomplex Armut Parallelen zu ziehen sind.

Mit diesen neuen Impulsen nahmen wir dann an virtuellen Fachbesuchen teil. Zuerst durften wir die AWO Heidelberg näher kennenlernen und daraufhin das Toshima WAKUWAKU Netzwerk für Kinder und Jugendliche in Tōkyō. Beide Einrichtungen haben sich sehr vielseitig aufgestellt, um möglichst viele Zielgruppen erreichen zu können. Hier wurde uns allen die Bedeutung von Teilhabe – und auch Barrieren – in vielen Lebensbereichen an konkreten Alltagsbeispielen gezeigt. Auch die vielfältigen Konsequenzen von Armut konnten hier lebensnah gespiegelt werden. So führt finanzielle Armut häufig auch zu Bildungsarmut, schlechterer Gesundheit und kann Teil einer Gewaltspirale sein. Für uns stellte sich nach beiden Besuchen besonders die Frage, ob wir mit unseren eigenen täglichen Angeboten auch tatsächlich die erreichen, die unsere Unterstützung brauchen und wie wir mit den vorhandenen Ressourcen die eigenen Maßnahmen breiter aufstellen können.

Diese Fragen beschäftigten alle Teilnehmenden merklich, auch in den informellen Austauschrunden war das Bedürfnis, gemeinsam nach Ideen zu suchen, hoch. Dementsprechend motiviert starteten wir mit der zweitägigen Fachdiskussion unter dem Leitthema „Wie kann der Teufelskreis der Armut in Deutschland und Japan durchbrochen werden?“. Hierzu hatten wir im Vorfeld gemeinschaftlich zwei Leitfragen entwickelt:

Wie kann die Zielgruppe (d. h. Kinder und Jugendliche sowie deren Familien) mit Hilfebedarf erreicht werden? Und: Wie kann eine Vernetzung von präventiven und frühzeitigen Hilfen aussehen und aufgebaut werden?

Schnell wurde klar, dass alle geplanten Hilfen als Netzwerke gedacht werden müssen. Um unterschiedliche Zielgruppen abzudecken und möglichst viele Menschen zu erreichen, müssen Angebote breit gedacht werden. Konkret ist es dafür wichtig, dass Strukturen in den Stadtteilen wachsen, die unterschiedlichen Angebotsträger voneinander wissen und miteinander arbeiten und sich als Teil des Sozialraums begreifen. Hierfür braucht es sowohl im Stadtteil als auch auf politischer Ebene ein Umdenken.

Um erfolgreich zu sein, müssen diese neuen Netzwerke interdisziplinär geplant werden und neben dem sozialen Bereich auch weitere Bereiche, wie besonders Kultur und Wissenschaft umfassen. Gelingen können diese aber nur, wenn sie die Angst vor Stigmatisierung berücksichtigen, niedrigschwellig angelegt werden und allen Menschen offenstehen. Nur so können sich alle, insbesondere bei Hilfebedarf, angesprochen fühlen und die Überwindung, Unterstützung anzunehmen, so gering wie möglich gehalten werden.

Als Appell an alle Tätigen in Bereichen der Unterstützung von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher haben wir für uns festhalten können, dass wir proaktiv arbeiten müssen. Sich einzumischen (im Japanischen „osekkai“) ist gut, wenn Regeln von Respekt und Datenschutz eingehalten werden. Es ist gut, auf Familien zuzugehen. Geschehen kann dies allerdings nur, wenn wir dafür im Stadtteil Räume haben, in denen wir so sein dürfen, wie wir eben sind (im Japanischen „ibasho“).

Konkret diskutierten wir dann noch über neue Ideen für unseren eigenen Arbeitsalltag. Auf japanischer Seite gab es erfreulicherweise direkt erste Vernetzungen aus der Verwaltung in soziale Projekte. Auch im Kopf konnten bei uns durch die Fachdiskussionen Barrieren abgebaut werden und durch gelingende Beispiele anderer Teilnehmender neue Inspirationen gewonnen werden.

Abschließend kann ichfesthalten, dass wir sehr dankbar für diesen bilateralen Fachkräfteaustausch sind. Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich Fachkompetenzen auch über die eigenen Landesgrenzen hinweg austauschen muss, um sich weiterzuentwickeln. Diese Entwicklungen sind wichtig, um Hilfen nicht falsch zu implementieren und das eigene Tun zu überprüfen. Auch wenn die konkreten Beispiele aus Japan für uns nicht immer direkt übertragbar sind, lassen sie uns dennoch kreativ werden und über den eigenen Tellerrand schauen.

Im Austausch konnten wir spüren, dass wir zwar in der Praxis im Einzelnen viel bewegen können, das Problem der Armutsbekämpfung aber vor allem ein strukturelles ist. Darum war es für uns wichtig, unsere Ergebnisse auch Vertreter*innen der für das Programm zuständigen Ministerien beider Länder präsentieren zu dürfen und verbleiben mit der Bitte, auf die Stimmen aus der Praxis zu hören und funktionierende Ansätze unterstützt durch Politik und Gesetzgebung in die Breite zu bringen.

 

*Die Autorin Gina Buchardt ist Teilnehmerin des Deutsch-Japanischen Studienprogramms für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, welches aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie gefördert wird. Das Jahresthema wechselt alle drei Jahre, seit 2019 lautet es „Armut in Kindheit und Jugend: Herausforderungen und Lösungsansätze“. Auf deutscher Seite ist das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin für die Programmdurchführung verantwortlich; auf japanischer Seite für 2022 das National Institution for Youth Education. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde 2022 das o. g. Studienprogramm in Online-Format durchgeführt.