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Brückengänger: HIGASHIYAMA Kaii – Der Maler HIGASHIYAMA und Deutschland

Das JDZB besitzt einen Schatz: Ein Originalwerk des großen Malers HIGASHIYAMA Kaii, das er dem JDZB anlässlich dessen Gründung gestiftet hat. Der Präsident des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin, Botschafter a. D. NAKANE Takeshi, stellt in diesem Beitrag den großen Meister vor.

Anlässlich des 160sten Jubiläums japanisch-deutscher diplomatischer Kontakte stellen wir – und auch unsere Freunde und Partner – in der Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ Menschen aus beiden Ländern vor, die die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mit Leben erfüllt haben oder noch erfüllen. In einer gemeinschaftlichen Publikation der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tōkyō und des JDZB „Brückenbauer – Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches“ (2005, IUDICIUM Verlag) wurden bereits viele Menschen gewürdigt, welche die deutsch-japanischen Beziehungen aktiv gestaltet haben. Hier knüpft diese Rubrik an, die wir auf Initiative von SEKIKAWA Fujiko (Leiterin Sprachendienst JDZB) gestartet haben. Neben berühmten Persönlichkeiten werden auch weniger bekannte Personen vorgestellt. Seien Sie gespannt!

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Kein anderer berühmter japanischer Maler hat eine so innige Verbindung zu Deutschland wie HIGASHIYAMA Kaii (1908 - 1999). Als junger Kunststudent hat er zwei Jahre in Berlin studiert. Auch nachdem er als „Japans repräsentativer Maler der Nachkriegszeit“ Anerkennung fand und erfolgreich wurde, besuchte er immer wieder Deutschland. Zwar hat er auch China und Frankreich mehrmals besucht, doch verglichen zu seiner Deutschlandreise, ist die Anzahl dieser Besuche verschwindend gering. In Deutschland fanden große Einzelausstellungen von und über ihn statt: 1979 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), und zwar in Berlin und Leipzig, dann 1983 in der Bundesrepublik (BRD), in München, Düsseldorf und Bremen sowie 1989 in Berlin (Museum für ostasiatische Kunst Berlin/Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, heute: Museum für Asiatische Kunst) und Hamburg. Er trug wesentlich dazu bei, Arbeiten von Caspar David Friedrich (1774 - 1880) in Japan vorzustellen, dessen Werke ihn während seiner Studienjahre in Deutschland tief beeindruckt hatten, und zu dem er eine unerklärliche Affinität empfand. Neben seiner Arbeit als Maler engagierte er sich bei vielen deutsch-japanischen Freundschaftsveranstaltungen und leistete einen wichtigen Beitrag zur Gründung des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin (JDZB), wo er seit der Gründung im Jahre 1985 rund zehn Jahre lang als Mitglied im Stiftungsrat wirkte.

Weil sein Elternhaus verarmt war und in finanzielle Notlage geriet, hatte Higashiyama nur unter schwierigen Bedingungen sein Studium der Nihonga (Malerei im japanischen Stil) an der Kunsthochschule Tōkyō (heute: Tōkyō Geijutsu Daigaku/Universität der Künste Tōkyō) absolvieren können. Danach war er auf dem besten Wege, ein erfolgreicher Maler zu werden.

Warum ging er trotzdem ins Ausland, und ausgerechnet nach Deutschland, während die damaligen japanischen Künstler allesamt Frankreich oder Italien in ihrem Blickfeld hatten? Auf diese Frage antwortete HIGASHIYAMA einst: „Ich wollte in jungen Jahren Europa kennenlernen. Um als Nihonga-Maler eine Entscheidung über meinen künftigen Weg treffen zu können, war es wichtig, ein Leben außerhalb Japans zu erfahren und andere Kunstwerke als Nihonga kennen zu lernen. Für Deutschland habe ich mich entschieden, weil es in Deutschland gute Möglichkeiten gab, den Westen zu studieren. Da in Deutschland kein anderer japanischer Maler weilte, habe ich die Ruhe genießen können, worüber ich sehr dankbar war. Frankreich ist elegant, Italien ist hell, aber ich war von Deutschlands Dunkelheit und seiner feierlichen Erhabenheit angezogen".

„Kogan“ (Seeufer) on Higashiyama Kai

 

„Kogan“ (Seeufer) - Das Gemälde hängt im großen Speisesaal in der Residenz des Botschafters. Mit freundlicher Genehmigung der Familie, die das Urheberrecht geerbt hat.

 

Deshalb reiste HIGASHIYAMA 1933 allein auf einem Frachtschiff nach Berlin, wo er an der Universität Berlin (heute: Humboldt-Universität zu Berlin) studierte. Das erste Jahr seines Aufenthaltes und seines Studiums bestritt er selbst, 1934 wurde er zu einem der ersten öffentlich geförderten deutsch-japanischen Austauschstudenten ernannt. In dieser Zeit lernte er die deutsche Sprache und studierte westliche Kunstgeschichte. Darüber hinaus knüpfte er enge Kontakte zu japanischen Botschafts­angehörigen und anderen in Deutschland lebenden Japanerinnen und Japanern, sowie auch zu den Einheimischen. Seinen Urlaub verbrachte er mit Museumsbesuchen in europäischen Nachbarländern. Man kann wohl getrost behaupten, dass er die Freuden der Jugend genossen hat. Er sprach fließend Deutsch und wurde sogar gebeten, sein Heimatland im deutschen Rundfunk vorzustellen.

 

Obwohl ihm noch ein Jahr für sein Austauschstudium blieb, beschloss HIGASHIYAMA, seinen Deutschlandaufenthalt vorzeitig zu beenden und nach Japan zurückzukehren. Die Nachricht von der Erkrankung seines Vaters schien der unmittelbare Auslöser gewesen zu sein, aber auch die rasante Umstrukturierung der japanischen Kunstwelt zu jener Zeit schien ihn dazu bewogen zu haben. Dass HIGASHIYAMA während seiner Studienjahre im Ausland viele westliche Kunstwerke hat kennenlernen können, soll auf seine folgenden Werke einen großen Einfluss gehabt und ihnen innovative Ausdrucksweise verliehen haben, wie sie die damaligen Nihonga nicht gekannt hatten. Higashiyamas Werk zeichnet sich durch die Verschmelzung der Tradition der Nihonga-Malerei mit westlichen Techniken aus: Während erstere eine nicht reale, imaginäre Landschaft darstellt, konzentriert sich letztere auf die Darstellung des Realen. Allerdings kam diese Verschmelzung erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs zur Blüte, 1947 mit „Zanshō“ (Die letzten Sonnenstrahlen), in dem Werk, das ihn als Nihonga-Maler landesweit berühmt machte.

 

Caspar David Friedrich wird oft als derjenige Maler genannt, der den jungen Higashiyama beeinflusst hat. HIGASHIYAMA selbst veröffentlichte 1937, kurz nach seiner Rückkehr nach Japan, einen Artikel über Friedrich. 1978 wurde er gebeten, im Rahmen der Ausstellung „Caspar David Friedrich und sein Kreis“ in Tōkyō einen Vortrag zu halten: „Friedrichs Werke sind dadurch gekennzeichnet, dass er die Natur als Seelenwelt begreift und diese Auffassung in seinen Kompositionen zum Ausdruck bringt. Seine Bilder sind durchdrungen von einem tiefen Gebet für ein Requiem. Mit ihm fühle ich mich in etwas Wesentlichem verbunden, ja, ich fühle eine wundersame Verwandtschaft zu ihm.“ Zu dieser Ausstellung, die Friedrich umfassend in Japan vorstellte, kam der damalige Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nach Japan. Die Begegnung zwischen ihm und Higashiyama führte 1979 zur HIGASHIYAMA-Ausstellung in der DDR.

 

HIGASHIYAMA festigte seine Stellung als nationaler Künstler, in dem er seine heute noch bekannten Werke wie „Michi“ (Der Weg) und die Schimmel-Serie präsentierte. Ferner stellte er großformatige Werke für bedeutende Bauwerke Japans her, beispielsweise für den Kaiserpalast und für den Palast des Kronprinzen in Akasaka, sowie für den Tōshōdaiji-Tempel in Nara. Warum fesseln seine Werke nicht nur die Herzen der Japanerinnen und Japaner, sondern auch die der Menschen in aller Welt? Die Antwort auf diese Frage findet sich in seinen folgenden Worten: „Ich möchte kein bizarres, übertriebenes oder laut schreiendes Werk schaffen. Auch fühle ich mich nicht so sehr von neuen Formaten angezogen. Das, was sich in der Natur befindet und mich in aller Stille anspricht, das möchte ich ungekünstelt zum Ausdruck bringen. Ich glaube, wenn mein Herz klar ist, dann werden meine Bilder ebenfalls klar; wenn mein Herz in die Tiefe steigt, werden meine Werke tiefgründig.“

 

People in front of Higashiyama painting

Vor dem „Asagumo“ (Morgenwolken) im Vorstandszimmer des (damaligen) JDZB, rechter Hand Ehepaar HIGASHIYAMA, um 1990 © JDZB

 

In Berlin befinden sich einige Originalwerke von HIGASHIYAMA: Eins ist im Besitz des JDZB; das Museum für ostasiatische Kunst Berlin/Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, in dem 1989 HIGASHIYAMAs Einzellausstellung stattfand, besitzt ebenfalls ein Werk, und die Botschaft von Japan besitzt mehrere Werke. Im Prozess, wie eines der Gemälde in die Botschaft kam, war ich glücklicherweise beteiligt: Es war in den späten 1990er Jahren, als ich in Tōkyō als Leiter des Referates „Auslandsvertretungen“ in Japans Außenministerium tätig war. Dieses Referat ist für Personal- und Sachkosten für Japans Botschaften und andere Auslandsvertretungen weltweit zuständig. Im Rahmen der Instandhaltung dieser Einrichtungen ist das Referat auch dafür verantwortlich, ihnen japanische Kunstwerke zu schicken, um im jeweiligen Gastland die japanische Kultur vorzustellen. Zu jener Zeit – als infolge der Vereinigung der DDR und der BRD die Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin bereits beschlossen war – stand fest, dass 1998 mit den Renovierungs- und Anbauarbeiten des japanischen Botschaftsgebäudes in Berlin begonnen werden sollte (in dem ja nach umfassenden Sanierungsarbeiten 1987 das JDZB eingezogen war). Nach dem Ende dieser Arbeiten würde das Botschaftsgebäude in Berlin zweifellos zu einem der wichtigsten Gebäude der japanischen Auslands­vertretungen werden. Dabei stellte sich die Frage, mit welchen Kunstwerken die weitflächigen Wände geschmückt werden sollten. Die Botschaft in Berlin/DDR sowie die in Bonn/BRD sowie das Generalkonsulat in West-Berlin verfügten zwar über Kunstwerke, doch waren sie allesamt etwas veraltet, so dass sie für die neue Botschaft keinesfalls genügten. Für eine Botschaft dieser Größen­ordnung und Bedeutung sollte ein entsprechendes Kunstwerk als Hauptattraktion dienen. Im Blick hatte ich Werke von HIGASHIYAMA in der Residenz des japanischen Botschafters in Washington/USA und von Hirayama Ikuo (1930 - 2009) in der Residenz des japanischen Botschafters in Beijing/China.

 

Deshalb entschloss ich mich, Herrn HIGASHIYAMA, der eine starke Verbindung zu Berlin hatte, um ein neues Werk zu bitten, suchte sein Haus auf und trug meine Bitte seiner Ehefrau HIGASHIYAMA Sumi vor. Frau HIGASHIYAMA war sehr erfreut über meine Bitte, doch einige Tage später teilte sie mir mit, dass Herr HIGASHIYAMA zu krank sei, um ein neues großes Werk für die Räumlichkeiten der neuen Botschaft zu schaffen. Stattdessen würden sie eines seiner früheren Werke stiften. Wenn dann die für das Auftragswerk vorgesehenen Mittel für die Herstellung eines Wandteppichs mit dem Motiv eines HIGASHIYAMA-Gemäldes verwendet werden könnten, wären sie sehr glücklich, zumal dadurch auch die traditionelle japanische Handwerkskunst des Tsuzure-Webens (Brokatweben) tradiert werden könne. So kam es dazu, dass mir zwei Bilder zur Auswahl gezeigt wurden, eines davon war „Kogan“ (Seeufer). Mir war sofort klar, dass es „Kogan“ sein muss, denn es zeigt nicht nur ein Seeufer in Südbayern realistisch, sondern es spiegelt auch das innere Gedankenbild des Künstlers und vermittelt einen sehr frischen, belebenden Eindruck. Dieses Bild hängt heute im großen Speisesaal in der Residenz des Botschafters.

 

Was jedoch den Wandteppich des Tsuzure-Webens betraf, so war die Beschaffung nicht einfach. Zunächst hatte ich von einem Museumsdirektor die Zustimmung zur Verwendung eines HIGASHIYAMA-Gemäldes in dessen Besitz erhalten, dieses Werk als Motiv für den Wandteppich zu benutzen. Doch da der Wandteppich auf beide Seiten der Doppeltüren gehängt werden sollte, die in die mittlere Lobby führen, wenn man die breite marmorne Treppe vom Eingang aus hochkommt, musste er aus zwei Teilen bestehen. Der Museumsdirektor war jedoch mit der „Zweiteilung“ des Gemäldes nicht einverstanden. Letztlich habe ich mich mit Hilfe von Frau HIGASHIYAMA für einen Wandteppich mit dem Motiv „Tōsei“ (Das Tosen der Wellen) entschieden, das die Schiebetür in der Mieidō (Halle zur Verehrung der Gründung des Tempels) des Tōshōdaiji-Tempels schmückt.

 

Der Einzug in die neue Botschaft fand 2001 statt, als Herr HIGASHIYAMA bereits verstorben war. Bei den Feierlichkeiten zur Wiedereinweihung des Botschaftsgebäudes fand in der Botschaft eine HIGASHIYAMA-Ausstellung statt, in der das Gemälde „Kogan“ (Seeufer), der Wandteppich, sowie das Gemälde „Tsuki no De“ (Mondaufgang), das in der Residenz des Botschafters in Bonn gehangen hatte, sowie eine Reihe von Herrn HIGASHIYAMA gestifteter Lithografien gezeigt wurden. Frau HIGASHIYAMA nahm an der Einweihungsfeier teil, und bei ihrer Rückreise machte sie einen Zwischenstopp in München, wo ich zu dieser Zeit als Generalkonsul tätig war. Mit freudiger Stimme erzählte sie mir, wie wunderbar die Veranstaltung gewesen sei. Wenn diese Werke dazu beitrügen, die Erinnerung an HIGASHIYAMA Kaii, einen Maler mit enger und tiefer Verbundenheit zu Deutschland, wach zu halten, würde ich mich sehr glücklich schätzen.

 

President Nakane in front of Higashiyama painting

Der Autor steht vor dem Wandteppich „Tōsei“  (Das Tosen der Wellen) in der japanischen Botschaft in Deutschland.
Das Bild wurde vom Autor zur Verfügung gestellt.
 

 

Der Autor: Botschafter a. D. Nakane Takeshi – Brückengänger

Nach seinem Abschluss des Studiums an der juristischen Fakultät der Universität Kyōto trat er in das Außenministerium ein. Nach Auslandsverwendungen in Genf, Südkorea, München und Wien sowie diverser Funktionen im Ministerium war er von 2012 bis 2016 Botschafter Japans in Deutschland. 2016 schied er aus dem Außenministerium aus, ist heute für wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit zuständiger Botschafter, und seit 2018 Präsident des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin. Er liebt klassische Musik, das traditionelle Puppentheater Bunraku und Museumsbesuche.

 


Titelmotiv: HIGASHIYAMA Kaii um 1979 bei der Erstellung seines Werkes „Yōshūkunpū“ (nach Grün duftender frühsommerlicher Wind in Yangzhou), das er für die Mieidō (Halle zur Verehrung der Gründung des Tempels) des Tōshōdaiji-Tempels schuf.

Übersetzung: Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin