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Brückengänger: ITAKURA Iwao ― Gießerei-Projekt in Leipzig

Wer von Ihnen denkt beim Wort „Deutschland“ an die DDR (Die Deutsche Demokratische Republik, welche von 1949 bis 1990 bestand)? Herr MITA (im Foto rechts außen), hat in der DDR gearbeitet und mit uns seine Erinnerungen geteilt - insbesondere an Herrn ITAKURA (zweiter von links), der sieben Monate nach dieser Aufnahme verstorben ist.

Itakura und andere Im Baubüro des Gießerei-Projekts in Leipzig, DDR, 15.02.1987

Anlässlich des 160sten Jubiläums japanisch-deutscher diplomatischer Kontakte stellen wir – und auch unsere Freunde und Partner – in der Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ Menschen aus beiden Ländern vor, die die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mit Leben erfüllt haben oder noch erfüllen. In einer gemeinschaftlichen Publikation der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tōkyō und des JDZB „Brückenbauer – Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches“ (2005, IUDICIUM Verlag) wurden bereits viele Menschen gewürdigt, welche die deutsch-japanischen Beziehungen aktiv gestaltet haben. Hier knüpft diese Rubrik an, die wir auf Initiative von SEKIKAWA Fujiko (Leiterin Sprachendienst JDZB) gestartet haben. Neben berühmten Persönlichkeiten werden auch weniger bekannte Personen vorgestellt. Seien Sie gespannt!

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Die Abwicklung des Großprojektes einer Gießerei für Leipzig in der DDR dauerte vom Vertragsabschluss bis zum letzten Einzug des Vertragsbetrages ganze 14 Jahre (1981 - 1994). In dieser langen Zeit gab es in den unterschiedlichsten Bereichen einen regen Austausch zwischen Japan und der DDR. Hierdurch wurde eine große Brücke zwischen Japan und der DDR gebaut.
Dieses Projekt ist zugleich aber ein extrem schwieriges Unterfangen gewesen. Mein Kollege, Herr ITAKURA Iwao (1946 - 1987), rang ernsthaft und mit aller Kraft mit den Problemen dieses Unterfangens. Infolge des extremen Stresses ist er aber noch vor Vollendung des Projektes im jungen Alter von nur 40 Jahren verstorben. Er war ganz bestimmt ein herausragender Brückenbauer zwischen Japan und der DDR, beziehungsweise ein Brückengänger, der über seine selbsterrichtete Brücke gegangen ist, leider ohne das andere Ende zu erreichen. Ich möchte deshalb diesen Beitrag Herrn ITAKURA widmen, mit dem ich für dieses Projekt sehr eng zusammengearbeitet habe.

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Anlässlich des ersten und einzigen Japanbesuchs von Generalsekretär Erich HONECKER wurde der Auftrag für die Errichtung einer Gießerei in Leipzig, DDR, von den beiden Vertragspartnern, Marubeni Corporation / Japan und Industrieanlagen-Import (IAI) / DDR, im Büro von Marubeni in Tōkyō unterzeichnet. Zu jener Zeit war dieser Auftrag das größte Projekt in Japan: die Auftragssumme für die schlüsselfertige Errichtung einer Gießerei für Leipzig in der DDR betrug ca. 40 Milliarden Yen (368 Millionen Euro).
Marubeni war als Konsortiumsleiter der beteiligten japanischen und deutschen Unternehmen verantwortlich für den Vertragsabschluss, die Finanzierung, die Übergabe der Gießerei, das Gegengeschäft usw.
Damals war ich bei der Marubeni Deutschland GmbH in Düsseldorf tätig, und wurde zur Mithilfe beim Vertragsabschluss nach Tōkyō zurückbeordert. Um den Vertrag professionell auszuformulieren, habe ich bis zu dessen Abschluss drei Tage lang fast ohne zu schlafen durchgearbeitet.

Image
Delegation in Iseshima
Nach dem Vertragsabschluss in Tōkyō reiste die Delegation nach Iseshima, 30.-31.05.1981
v. l. n. r. Franke (VEB Metallgußwerk Leipzig), MIta Masaru (Marubeni), Dr. Karl Übrick (VEB Metallgußwerk Leipzig),
Wilhelm Marter und Günther Metzler (beide VEB-Kombinat Gießereianlagenbau und Gußerzeugnisse), Bitt, Reiseführerin, Dieter Schertell (Industrieanlagen-Import)

Nach Vertragsabschluss war ich im Büro von Marubeni Deutschland GmbH in Düsseldorf vor allem damit beschäftigt, von deutschen Firmen die notwendige Ausrüstung für den Aufbau der Gießerei zu beschaffen.
Im September 1981 wurde eine Delegation aus Japan nach Ostdeutschland entsandt, die untersuchen sollte, welche Einkaufsmöglichkeiten von Werkzeugmaschinen es in der DDR gab, um so die vertraglich festgeschriebene Pflicht des Gegengeschäftes zu erfüllen. Ich habe diese Delegation zehn Tage lang begleitet.
Nachdem ich sechseinhalb Jahre lang (von Dezember 1977 bis Juni 1984) bei Marubeni Deutschland GmbH gearbeitet hatte, bin ich nach Japan zurückgekehrt. Ich wurde nun der neu geschaffenen Marubeni-Abteilung unterstellt, welche das Projekt der Gießerei in Leipzig abzuwickeln hatte. Danach habe ich mich ganz diesem Großprojekt gewidmet.
Direkt an der Baustelle in Leipzig wurde das Büro für die Errichtung der Gießerei eröffnet. Während der gesamten Aufbauphase habe ich sehr oft langfristige Geschäftsreisen nach Leipzig gemacht und im Büro auf der Baustelle gearbeitet.
Das Hotel „Merkur“, das von der Baufirma Kajima Corporation, Japan, errichtet worden war, wurde zu meiner Unterkunft in Leipzig. Aber immer dann, wenn die Leipziger Messe stattfand, musste ich in einer Pension wohnen, weil die Hotelübernachtungen während dieser Zeit auf fast das Dreifache anstiegen. Auf diese Weise habe ich aber das Denken der Bürger in Leipzig und das wirkliche Leben dort besser kennengelernt.
Die berühmte Leipziger Messe gibt es seit dem Jahre 1190. Sie ist damit die älteste Messe der Welt. Seit 1996 befindet sich die Messe in ganz neu errichteten, sehr modernen Hallen im Norden von Leipzig.
Damals befand sich Ostdeutschland unter dem Diktat der kommunistischen Partei, dort „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) genannt. Die Freiheit des Einzelnen wurde durch die Stasi (Ministerium für Staatssicherheit) stark eingeschränkt. Auch mein Auto wurde von der Stasi verfolgt. Internationale Telefongespräche waren nahezu unmöglich. E-Mail und Zoom-Meetings kannten wir damals leider noch nicht. Die Stadt Leipzig war durch giftige Abgase extrem verschmutzt. Frisches Gemüse gab es nicht.
Während meiner Aufenthalte in Leipzig habe ich in der Kantine der Baustelle zu Mittag gegessen und im Hotel Merkur das Frühstück und das Abendessen eingenommen. Das Abendessen, das im Hotel Merkur zubereitet wurde, war immer dasselbe, nämlich Schweinebraten mit Kartoffeln. Eines Tages konnte mein Magen nichts mehr davon vertragen. Deshalb habe ich mir dann immer einige Kartons kochfertiger japanischer Nudelgerichte (beispielsweise „Ramen“) aus Tōkyō mitgebracht. Wenn aber alles aufbraucht war, hatte ich große Angst vor dem Abendessen. Das war kein Witz.
Die Übergabe der Gießerei wurde wegen vieler technischer Probleme sowie eines Fehlers in der zugrundeliegenden Planung sehr lange Zeit immer wieder verschoben. Das Abnahmeprotokoll wurde erst am 15. Februar 1987 erstellt, also sieben Jahre nach Vertragsabschluss. Die Folge davon war, dass ich an der Baustelle in Leipzig insgesamt mehr als zweieinhalb Jahre lang gearbeitet habe.

Wegen des immensen Stresses und des ungesunden Essens ist mein Kollege ITAKURA Iwao, der mein Jahrgang war, im Alter von nur 40 Jahren am 26. September 1987 morgens zwischen 9 und 10 Uhr verstorben. Die Todesursache war offiziell Dickdarmkrebs. Aber Herr ITAKURA hat sich zweifellos für dieses Projekt geopfert und zu Tode gearbeitet.
Genau um dieselbe Zeit, als Herr ITAKURA in Japan gestorben ist, erlitt ich zwischen 2 und 3 Uhr nach Mitternacht deutscher Zeit wegen grimmiger Bauchschmerzen so unerträgliche große Qualen, wie ich sie bis dahin noch nie erlebt hatte. Das war im Hotel „Hamburg“ in West-Berlin.
Zufällig befand ich mich da gerade auf einer kurzfristig angesetzten Rückreise nach Japan. Nach dem Abklingen der stärksten Bauchschmerzen bin ich am nächsten Morgen vom Flughafen Tegel in West-Berlin über Frankfurt nach Tōkyo-Narita zurückgeflogen. Ich habe vom plötzlichen Tode meines Kollegen ITAKURA erst erfahren, als ich vom Flughafen Frankfurt aus mit meiner Frau telefoniert habe. Im Flugzeug von Frankfurt nach Narita konnte ich deshalb keinen Schlaf finden.
Nach der Ankunft in Narita habe ich mich dann beeilt, um an der in Japan üblichen Totenwache („Tsuya“) teilzunehmen. Am folgenden Tage habe ich auch noch die Trauerfeier besucht, um mich von meinem Arbeitskollegen zu verabschieden. Ich werde sein mitleiderregendes, stets trauriges Gesicht nie vergessen.
Wenige Tage später habe ich mich zum ersten Mal einer endoskopischen Untersuchung des Dickdarms auf Krebsverdacht unterzogen.

Durch die Verspätung in der Übergabe der Gießerei waren die Zahl der beteiligten Personen und die erforderlichen Finanzmittel am Ende sehr viel grösser als für dieses Projekt ursprünglich angesetzt worden war.
Ein entsprechender Beschwerdebrief wurde von Erich HONECKER via den Präsidenten der Nippon Steel Corporation, SAITŌ Eishirō (damals gleichzeitig Präsident des Japan-DDR-Wirtschaftskomitees und Präsident der japanischen Wirtschaftsverbände), dem Präsidenten der Marubeni Corporation, HARUNA Kazuo, zugestellt. Insgesamt vier Mal sah sich Präsident HARUNA genötigt, zu außerordentlichen Verhandlungen mit dem Auftraggeber Leipzig zu besuchen. Um ihn zuvor jeweils sachkundig darauf vorzubereiten, musste ich etliche Male sein Arbeitszimmer im Marubeni-Hauptgebäude in Tōkyō besuchen.
Das Projekt, das mit dem Auftragsabschluss im Jahre 1981 begonnen hatte, war erst mit der letzten Teilzahlung aus Deutschland im Jahre 1994, also erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, beendet. Ich selbst bin der letzte Mann gewesen, der mit diesem Projekt befasst war. Nicht auszuschließen ist, dass ich unter allen Handelsleuten Japans damals auch der einzige Mann war, der volle 14 Jahre lang mit ein und demselben Großprojekt beschäftig gewesen ist.

Damals hieß es in der Handelsbranche, dass jemand bei einer Auftragssumme von 10 Milliarden Yen sein ganzes Leben einem einzigen Projekt widmen müsse. Im Verlauf dieses Projektes ist zunächst mein Kollege, Herr ITAKURA, zu Tode gekommen, und bald nach der Fertigstellung der Gießerei verstarb unser Vorgesetzter. Dazu fanden noch zwei Arbeiter auf der Baustelle durch Unfälle den Tod. So haben genau vier Personen bei diesem Projekt, dessen Vertragssumme 40 Milliarden Yen betrug, ihr Leben verloren.
Damals habe ich langfristige Geschäftsreisen nach Ostdeutschland machen müssen, d. h. ich hatte jeweils fünf Monate auf der Baustelle in Leipzig zu arbeiten und einen Monat in Tōkyō. Vier Jahre lang habe ich das so wiederholt. Das ist doch ein sehr ungewöhnliches Leben gewesen. Meine Familie ist deswegen wie eine vaterlose Familie gewesen.
Als mein Kollege, Herr ITAKURA, verstarb, bekam ich eine Ataxie des vegetativen Nervensystems. Ich habe damals 15 kg abgenommen. Ich hatte das Gefühl, dem Tode sehr nahe zu sein. Ich dachte, dass es das Beste wäre zu sterben, damit mein Leben ein gutes Ende nähme, indem ich dadurch von den Qualen dieser Arbeit befreit würde. Aber meine beiden Töchter waren noch klein. Ich hatte für sie sehr hohe Versicherungssummen zu entrichten. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Angestellten der Firma Marubeni Corporation betrug damals nur 63 Jahre, im Vergleich zu 74 Jahren in ganz Japan (heute sind es 81 Jahre).
Das war zwar Arbeit für hehre, lohnende Ziele, aber der Stress war viel zu groß und kaum zu ertragen. Ich war infolge der extrem hohen körperlichen und seelischen Belastung am Ende meiner Kräfte angelangt und wurde immer häufiger von Albträumen geplagt.

An diesem Punkt meines Berichtes muss ich auf unsere Hilfstruppe in Tōkyō zu sprechen kommen. Eine aus dieser Truppe war Frau SAMMORI Yurika (geborene MABUCHI). Heute ist sie als Direktorin am Tsukuba Language Arts Institute tätig, hält Vorträge und veranstaltet Workshops für Unternehmen, Schulen, Sportverbände usw.
In der Zeit, in der ihr Vater beruflich in Bonn gearbeitet hat, besuchte Frau SAMMORI – damals noch Frau MABUCHI – dort ein Gymnasium. Während ihrer Jahre als Gymnasialschülerin bekam sie eine erste Ahnung von den Unterschieden des Denkens, welches durch Japanisch bzw. Deutsch als Muttersprache vermittelt wird. Diese Vorahnungen wurden für sie durch die tägliche Arbeit an unserem Projekt schließlich zur Gewissheit. Durch ihren tagtäglichen praktischen Einsatz für das Gießereiprojekt, also durch ihre Übersetzung der vielen Protokolle dieses Projektes, hat sie in der klaren, überzeugenden Gliederung die Logik der deutschen Sprache erst voll erkannt.

Die Verhandlungen mit der IAI waren extrem schwierig und gestalteten sich gelegentlich so hart wie ein wildes und erbittertes Handgemenge. Dennoch würde ich die betreffenden Verhandlungspartner von der IAI für das Gießereiprojekt, wie z. B. Herrn Dieter SCHERTELL, gerne einmal wieder treffen. Denn sie waren bei allem beseelt von großer Humanität und menschlicher Wärme.

Alle Fotos im Text wurden vom Autor zur Verfügung gestellt.
Den deutschsprachigen Text hat der Autor selbst verfasst.

 

Masaru Francisco Xavier MITA

Masaru Francisco Xavier
MITA

Profil der Autorin/des Autors

geboren am 18. Februar 1947
1965 Aufnahme eines Germanistikstudiums an der Sophia-Universität in Tōkyō (Fakultät für Fremdsprachen).
1967 - 1969 Studium an der Universität zu Köln.
Fortsetzung des Studiums an der Sophia-Universität in Tōkyō.
Nach dem Abschluss 1971 Eintritt in das Handelshaus Marubeni Corporation/Tōkyō. Bis 1999 dort in wechselnden Positionen tätig.
1977 - 1984 Manager bei der Marubeni Deutschland GmbH.
1984 Section Manager in der Marubeni-Abteilung Industrie-Anlagen in Tōkyō.
1995 - 1998 General Manager von Marubeni Warschau/Polen etc.
2000 - 2008 Japan-Vertreter der Firma Thermopal GmbH (jetzt Pfleiderer Group/Deutschland).
2008 bis 2009 Japan-Berater von Fritz Egger/Österreich.
Herr MITA Masaru ist sehr lange Zeit im Außenhandel zwischen Japan und Deutschland (einschließlich DDR) tätig gewesen.