Anlässlich des 160sten Jubiläums japanisch-deutscher diplomatischer Kontakte stellen wir – und auch unsere Freunde und Partner – in der Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ Menschen aus beiden Ländern vor, die die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mit Leben erfüllt haben oder noch erfüllen. In einer gemeinschaftlichen Publikation der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tōkyō und des JDZB „Brückenbauer – Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches“ (2005, IUDICIUM Verlag) wurden bereits viele Menschen gewürdigt, welche die deutsch-japanischen Beziehungen aktiv gestaltet haben. Hier knüpft diese Rubrik an, die wir auf Initiative von SEKIKAWA Fujiko (Leiterin Sprachendienst JDZB) gestartet haben. Neben berühmten Persönlichkeiten werden auch weniger bekannte Personen vorgestellt. Seien Sie gespannt!
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Jörg BUTTGEREIT. Dieser Name ist auch in Japan unter Fans von Horror- und Splatterfilmen bekannt, vor allem wegen seines kontroversen Streifens „Nekromantik“ (1987), dessen Protagonist nekrophil ist. BUTTGEREIT genießt in Japan Kultstatus. Allerdings scheint es in Japan kaum bekannt zu sein, dass er ein großer Fan japanischer Godzilla- und Monsterfilmen ist und dass seine Begeisterung ihn dazu führte, Dokumentarfilme über japanische Monsterfilme zu drehen und Bücher zu diesem Thema herauszugeben.
In diesem Beitrag möchte ich seine Beziehung zu Japan, die durch seine Faszination zu Godzilla und anderen japanischen Monstern zustande gekommen ist, vorstellen.
Jörg Buttgereit ist 1963 geboren und in Berlin-Schöneberg aufgewachsen. Er sah seinen ersten Godzilla-Film in einem Bezirkskino im zarten Alter von vier Jahren an.
„Einerseits hatte ich Angst vor dieser gigantischen Urweltechse, die durch die Straßen von Tokio stapfte und mit ihrem atomaren Feueratem Tod und Zerstörung verbreitete. Andererseits spürte ich eine Bewunderung und Mitleid für dieses Riesenmonster, das vielleicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort war und eigentlich nichts Böses wollte." (Jörg BUTTGEREIT (2002) Exposé Monsterland)
Mit Begeisterung und Mitleid begann er sich japanische Monsterfilme einen nach dem anderen wie „Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster“ anzuschauen. Denn in den Bezirkskinos in Berlin-Schöneberg liefen damals an jedem Samstag und Sonntag Horror- und Monsterfilme in den sogenannten Jugendvorstellungen.
Der Film „Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster“ wurde im August 1971 in Japan uraufgeführt und lief bereits nach wenigen Monaten in deutschen Kinos. Ich wusste nicht, dass japanische Monsterfilme damals unter dem deutschen Publikum so beliebt waren, dass sie bereits kurz nach der Uraufführung in Japan in der Bundesrepublik zu sehen waren. Die Tatsache, dass es sich bei unheimlich vielen der Jugendvorstellungs-Klassiker, auf die sich Berlins Kinder jedes Wochenende freuten, um Monster- und Science-Fiction-Filme aus Japan handelte, ist für mich eine Überraschung. Ich frage mich, was für eine Vorstellung die damaligen Kinder (darunter auch BUTTGEREIT) von Japan hatten. Sehr wahrscheinlich war unser Land für sie ein seltsamer und geheimnisvoller Inselstaat im Fernen Osten, aus dem die vielen Monster kamen.
Filmführer „Monster aus Japan greifen an“』
BUTTGEREIT hat über die Jahre verschiedensten Fassungen sämtlicher japanischer Monsterfilme gesichtet und im Jahre 1998 das Buch „Monster aus Japan greifen an“ (belleville Verlag, 1998) veröffentlicht. In diesem Filmführer über die Monster Japans werden alle in Deutschland veröffentlichten japanischen Science-Fiction-Filme (Kino, Video, Fernsehen), in denen Riesenmonster auftreten, aufgeführt. Außerdem sind auch Filme, die in Deutschland nie zu sehen waren, für das Genre aber wichtig sind bzw. in der Chronologie einer Serie nicht fehlen dürfen, enthalten.
Als BUTTGEREIT dieses Buch herausgab, war er 35. Er hatte bereits 17 Kurz- und Langfilme gedreht, darunter auch bekannte Filme wie „Der Todesking“ (1989) sowie „Nekromantik 2“ (1991). Seine Faszination für die japanischen Monsterfilme war nicht nur eine bloße Kindergeschichte, sondern sie lebte in ihm auch im Erwachsenenalter in voller Kraft weiter.
Apropos: Im selben Jahr wie das Erscheinungsjahr dieses Buches wurde der erste Godzilla-Film außerhalb Japans produziert. BUTTGEREIT schreibt: „Jetzt, wo unter der Regie von Roland EMMERICH (Independence Day) der erste Hollywood-Godzilla-Film entsteht und sich Regisseure wie Tim BURTON und Steven SPIELBERG als Godzilla-Fans outen, wird es Zeit für eine Auseinandersetzung mit dem japanischen Monsterfilm“. (Jörg BUTTGEREIT (1998) Monster aus Japan greifen an, belleville Verlag, Seite 8)
Dokumentarfilm „Die Monsterinsel“
2002 bekam BUTTGEREIT einen Auftrag vom WDR, einen 45minütigen Dokumentarfilm über japanische Monsterfilme zu drehen, der im Rahmen der Sondersendung „Lange Monsternacht“ unter dem Titel „Die Monsterinsel“ ausgestrahlt wurde. Das einstige Kind, das von japanischen Monsterfilmen fasziniert worden war, war jetzt erwachsen und selbst ein Filmregisseur. Er konnte endlich nach Japan reisen, um sich mit den Filmemachern, mit deren Werken er aufwuchs, persönlich zu treffen. Das war für ihn sicherlich wie ein Traum, der nun endlich Wirklichkeit wurde.
BUTTGEREIT und ich lernten uns 2001, ein Jahr vor diesem Dokumentarfilmprojekt, kennen. Bei seinem ersten Hörspiel für den WDR habe ich eine Rolle gesprochen. Auch nach diesem Hörspiel hatte ich glücklicherweise einige weitere Gelegenheiten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Zu den Dreharbeiten für den Film „Die Monsterinsel“ wurde ich wieder angesprochen und es wurde für mich zu einem beeindruckenden Erlebnis.
Bevor BUTTGEREIT in Richtung Japan startete, flog er (und auch ich) nach Chicago. Denn in Rosemont, nordwestlich von Chicago, findet jedes Jahr im Juli eine Monster-Fan-Convention „G-FEST“ (Godzilla Festival) statt. Das G-FEST ist ein Treffen, das dem Godzilla-Franchise und anderen japanischen Riesenmonsterfilmen gewidmet ist. Es bietet von Gastvorträgen über eine Monster-Kostüm-Parade bis zum Verkauf von Büchern, DVDs und Figuren, die für Fans japanischer Monster von besonderem Interesse sind, alles, was das Herz der Liebhaberinnen und Liebhaber von Monsterfilmen begehrt. Zu diesem Fest kommen jedes Jahr mehr als 2000 Godzilla-Fans zusammen. Schauspielerinnen und Schauspier, Regisseure, Special-Effects-Techniker und andere berühmte Persönlichkeiten, die an Monsterfilmen in Japan mitgewirkt haben, sind häufig zu Gast. An dem G-FEST 2002 nahmen KAWAKITA Kōichi (Regisseur der Heisei-Godzilla-Reihe, 1984 - 1995) und HARIKEN Ryū (Monsterdarsteller der Heisei-Godzilla-Reihe) teil. BUTTGEREIT interviewte sie auf dem G-Fest noch vor seinem Dreh in Japan.
Meine Aufgabe bei dem Dokumentarfilmprojekt in Japan bestand nicht nur darin, Interviews zu dolmetschen, sondern auch darin, sie zu organisieren und zu koordinieren. Ich war zuständig für die Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnern, die Terminplanung und die Drehortsuche u. ä. Das war für mich Neuland und wirklich keine leichte Aufgabe gewesen.
Trotzdem konnten wir letzten Endes lebende Legenden als Interviewpartner gewinnen: YUASA Noriaki (Regisseur der Shōwa-Gamera-Reihe, 1965 - 1980), BANNO Yoshimitsu (Regisseur von „Godzilla vs. Hedorah“), YAMASHITA Kenshō (Regisseur von „Godzilla vs. Space Godzilla“, 1994), KANEKO Shūsuke (Regisseur der Heisei-Gamera-Reihe, 1995 - 2006), HIGUCHI Shinji (Regisseur für die Spezialeffekte der Heisei-Gamera-Reihe), WAKASA Shinichi (Monsterbildhauer und Maskenbildner), NAKAJIMA Haruo (Monsterdarsteller der Shōwa-Godzilla-Reihe, 1954 - 1975) u. a. nahmen sich dankenswerterweise Zeit, um BUTTGEREIT ein Interview zu geben.
Als BUTTGEREIT NAKAJIMA Haruo, den ersten Godzilla-Darsteller, traf, sah er so aus, als würde er sein Idol vor sich haben. Das war aber nur allzu verständlich, da der Godzilla, den BUTTGEREIT als Kind in vielen Filmen sah, von NAKAJIMA gespielt wurde. NAKAJIMA gab im Interview Hintergrundinfos der Dreharbeiten. Beispielsweise erzählte er, wie er als Godzilla Bauwerke zerstörte. Dabei habe er darauf geachtet, sich ganz natürlich zu verhalten. Denn Godzilla habe ja keinerlei Absicht, bestimmte Bauwerke zu zerstören. Für NAKAJIMA war es wichtig, sich als Godzilla zu bewegen und nicht bewusst oder absichtlich Gebäude zu zersören. Er hat dann den zerstörten Ort stolz und langsam als Godzilla verlassen.
Im Interview mit Regisseur KAWAKITA Kōichi stellte BUTTGEREIT die Frage: „In den 60er- und 70erjahren kamen fast alle japanische Godzilla-Filme nach Deutschland, aber heute nicht mehr. Warum?“ Die ursprüngliche Idee bei diesem Dokumentarfilm war es, dem deutschen Publikum zu zeigen, dass immer noch neue japanische Monsterfilme produziert werden: Denn die japanischen Monsterfilme kommen seit den 80erjahren überhaupt nicht mehr nach Deutschland, sodass manche deutsche Zuschauerinnen und Zuschauer denken, dass japanische Monsterfilme am Ende seien. KAWAKITA antwortete auf BUTTGEREITs Frage, dass die neuesten Filme von TriStar (heute: TriStar Pictures) weltweit vertrieben werden müssten. Früher habe die Filmproduktionsgesellschaft Tōhō in Europa selbst Niederlassungen gehabt. Tōhō sei im Vertrieb lange Zeit sehr aktiv gewesen und habe nach Kräften die Filme wie Godzilla in das westliche Ausland exportiert. Heute sei man nicht so stark im Vertrieb tätig, was er bedauerlich finde.
„Japan – Die Monsterinsel“ als Buch
Vier Jahre nach dem Dokumentarfilm wurde das fast gleichnamige Buch „Japan – Die Monsterinsel“ (Martin Schmitz Verlag, 2006) herausgegeben. Die Texte aus dem mittlerweile vergriffenen Buch „Monster aus Japan greifen an“ wurden in diesem Buch überarbeitet und erweitert. Die Interviews, die in Japan mit den oben erwähnten lebenden Legenden geführt und im Dokumentarfilm nur auszugsweise präsentiert wurden, sind hier in einer ausführlicheren Version enthalten. Der Dokumentarfilm „Die Monsterinsel“ wird ebenfalls in diesem Buch als der neueste Monsterfilm behandelt. Dort schreibt Gastautor Stefan HÖLTGEN (Medienwissenschaftler) zu dem Film: „Die Monsterinsel wäre sicherlich bestens dazu geeignet, eine Brücke zwischen Japan und Deutschland zu schlagen – was die Filme angeht.“ (Die Monsterinsel, Seite 249) BUTTGEREIT ging selbst von Deutschland nach Japan, um seinen Ikonen zu folgen, und schlug damit eine Brücke für andere Monsterfilmliebhaberinnen und -liebhaber, die ihm folgten.
Ein weiterer Dokumentarfilm „Monsterland“
BUTTGEREIT reiste 2008 wieder nach Japan, um einen weiteren Dokumentarfilm „Monsterland“ (ARTE, 2009) zu drehen. Auch diesmal waren wieder renommierte Regisseure und Schauspieler wie TSUKAMOTO Shinya (Regisseur, „Tetsuo“ 1989), NAKANO Teruyoshi (Regisseur der Godzilla-Reihe der 70er-Jahre), KAWASAKI Minoru (Regisseur „Monster X gegen den G8-Gipfel“, 2008), HARIKEN Ryū, SATSUMA Kenpachirō (Monsterdarsteller der Heisei-Godzilla-Reihe, 1984 - 1995) bereit, Interviews zu geben. Da dieser Film internationaler ausgerichtet wurde, ging es nicht nur um japanische Monsterfilme und die Drehorte waren auch nicht nur in Japan.
„Japan –Die Monsterinsel“ heute
Bevor ich mich an diesem Beitrag gesetzt habe, setzte ich mich mit BUTTGEREIT in Verbindung, um zu fragen, ob ich über ihn schreiben darf. Dabei erfuhr ich, dass das Buch „Japan – Die Monsterinsel“ am 8. November 2021 als überarbeitete und erweiterte Fassung wieder erschienen ist. Falls dieser Beitrag Ihr Interesse an japanischen Monsterfilmen erwecken konnte, würde ich mich freuen, wenn einige von Ihnen sich dieses Buch anschauen würden. Allerdings gehört dieses Filmnachschlagewerk nicht zu der Sorte Bücher, die in Buchhandlungen stapelweise verkauft werden. Es könnte sein, dass man diesem Buch genauso selten wie Godzilla in physischer Gestalt begegnen kann. Hält man das Buch aber dann in den Händen und schlägt es auf, spürt man sofort die große Leidenschaft eines deutschen Regisseurs für Godzilla und die anderen japanischen Monsterfilme.
Zusatzinfo für Interessierte: Hier ist ein Link zu YouTube, bei dem BUTTGEREIT als Godzilla-Experte auftritt.
Alle Fotos im Text wurden von Herrn Buttgereit zur Verfügung gestellt. Den deutschen Text hat die Autorin selbst verfasst.
Headerbild: Auf dem G-Fest 2002
Herr Jörg REINOWSKI, mit dem ich früher im JDZB zusammengearbeitet habe, hat mir vor allem bei den schriftlichen Übersetzungen der Interviews sehr geholfen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, mich bei ihm noch einmal zu bedanken.