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Brückengänger: Rolf ANSCHÜTZ – ein Leben für die Kultur der japanischen Küche

Haben Sie schon einmal von dem Film „Sushi in Suhl“ gehört, der 2012 in Deutschland erschienen ist und auf einer wahren Geschichte beruht? In diesem Beitrag geht es um den Hauptprotagonisten des Films, Rolf ANSCHÜTZ, der in der DDR ein japanisches Restaurant betrieb. Der Verfasser dieses Aufsatzes ist Gero SEIFERT, der mit ANSCHÜTZ zu seinen Lebzeiten in Kontakt stand und von 1998 bis 2020 Präsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Halle in Sachsen-Anhalt war.

Anlässlich des 160sten Jubiläums japanisch-deutscher diplomatischer Kontakte stellen wir – und auch unsere Freunde und Partner – in der Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ Menschen aus beiden Ländern vor, die die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mit Leben erfüllt haben oder noch erfüllen. In einer gemeinschaftlichen Publikation der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tōkyō und des JDZB „Brückenbauer – Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches“ (2005, IUDICIUM Verlag) wurden bereits viele Menschen gewürdigt, welche die deutsch-japanischen Beziehungen aktiv gestaltet haben. Hier knüpft diese Rubrik an, die wir auf Initiative von SEKIKAWA Fujiko (Leiterin Sprachendienst JDZB) gestartet haben. Neben berühmten Persönlichkeiten werden auch weniger bekannte Personen vorgestellt. Seien Sie gespannt!

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Porträt Anschütz

Rolf ANSCHÜTZ (1932 - 2008)

Ein Wort vorab: Ohne die freundliche Mitwirkung seiner Witwe, Sabine ANSCHÜTZ, hätte ich nicht eingewilligt, über Rolf ANSCHÜTZ zu schreiben – es wäre unvollständig und unredlich gewesen.   

Zur Erinnerung: Eines der politischen Dogmen der führenden Partei der DDR war die sozialistische Gesellschaftsordnung, in der kapitalistisches Eigentum verpönt war. Handel und Gastronomie waren demzufolge damals fast ausschließlich in Form der staatlichen Handelsorganisation (HO) präsent. Folglich war Rolf ANSCHÜTZ Leiter einer HO-Gaststätte, dem „Waffenschmied“ in Suhl. Der Name des Restaurants stand für die Suhler Tradition der Fertigung von Jagdwaffen. Zu dieser Zeit war ANSCHÜTZ auch Präsident des Thüringer Gaststättenverbandes.  

Warum sehen wir ihn heute als Brückenbauer (oder auch Brückengänger) zwischen Deutschland und Japan?

Und weshalb erst posthum?

Er war es mit Sicherheit bereits zu Lebzeiten, sowohl als Gastronom als auch als Präsidiumsmitglied der Freundschaftsgesellschaft DDR-Japan.

In meinen ganz persönlichen Erinnerungen spricht u. a. die folgende Begebenheit dafür: In der Zeit von 1969/1970 hatte ich etwa sieben Monate mit japanischen Chemikern zusammengearbeitet. Einer der Japaner erzählte mir, er wüsste, dass es irgendwo in der DDR ein japanisches Restaurant gäbe. Er wusste weder wo es ist, noch, wie das Restaurant heißt. Im Laufe der Jahre hatte ich diese Information vergessen, und erst als ich selber im „Waffenschmied“ war, erinnerte ich mich wieder daran. ANSCHÜTZ hatte im Februar 1966 begonnen, japanisch zu kochen. Der Japaner, der mir damals von dem Restaurant erzählte, war nie zuvor in der DDR gewesen und musste folglich schon drei Jahre nach den ersten Anfängen in Japan von diesem Restaurant gehört haben. Ich finde das sehr bemerkenswert.

Möglicherweise war es jener Dr. HAYASHI Mutsumi, der bereits 1966 als erster Japaner im „Waffenschmied“ zu Gast war. Hatte er die Kunde von einem Japanrestaurant in Suhl nach Japan gebracht? Das ist heute nicht mehr nachzuvollziehen, aber möglich wäre es.

Dr. Hayashi 3.v. l.

  Dr. HAYASHI Mutsumi, dritter von links

Er hatte Rolf ANSCHÜTZ damals eine Flasche Sake geschenkt, die bis heute ungeöffnet blieb, und jetzt im „Zeit­genössischen Forum“ in Leipzig zusammen mit Original­geschirr aus dem „Waffenschmied“, mit Geschenken japanischer Gäste und dem persönlichen Kimono von Rolf ANSCHÜTZ ausgestellt ist. Diese Erinnerungsstücke hatte die Witwe ANSCHÜTZs dem „Haus der Geschichte“ in Bonn übereignet.

Aus den anfangs wenigen Gerichten à la carte wurde nach und nach ein Menü nach Art des Kaiseki. Zu jedem Gang gab es Erläuterungen über das Gericht, aus welcher Region Japans es kommt, zu welcher Jahreszeit es gereicht wird, und weitere, interessante Details.

1977 kam zum Gastmahl ein wunderbares japanisches Bad hinzu, das vor dem Essen in ca. 40 Grad warmen Wasser – wie in einem japanischen Onsen – eingenommen wurde. Damit war der „Waffenschmied“ europaweit das einzige authentische Japanrestaurant geworden.

Das japanische Gastmahl war inzwischen so beliebt geworden, dass man bis zu zwei Jahre warten musste, um einen Termin zu bekommen. Bis zum Aus des „Waffenschmied“ im Jahr 1993 waren über eine Million Gäste dort, darunter auch viele Tausend Japanerinnen und Japaner, mehrere Botschafter und Diplomaten Japans, Leute aus der Führungsriege der DDR und nach der Wende auch Bundeskanzler Helmut KOHL.

Die ersten Gäste Febr. 1966

         Die ersten Gäste 12. Feb. 1966 

Bundeskanzler Helmut Kohl bei Rolf Anschütz

Bundeskanzler KOHL bei Rolf ANSCHÜTZ

Der damalige Botschafter von Japan in der DDR, NAKAO Kenji, bedankte sich in einem persönlichen Brief bei Rolf Anschütz für den Empfang im „Waffenschmied“.

In einem Bericht, dessen Quelle ich leider nicht mehr nachvollziehen kann, las ich:

Fast zwei Millionen Gäste sollen hier hinter der unscheinbaren Fassade des „Waffen­schmieds“ japanisch gegessen haben, darunter sogar Prinz Albert von Monaco.

Auch die norwegische Popband a-ha, Schlagerstar Wencke Myhre oder Fernsehjournalist Fritz Pleitgen verzehrten hier Misosuppe und rohen Fisch mit Reis.

Für seine Verdienste um die japanisch-deutschen Beziehungen und sein Engagement für die japanische Kultur wurde ANSCHÜTZ von der japanischen Regierung zu einem Besuch nach Japan eingeladen – und durfte mit allerhöchster Genehmigung der DDR-Behörden tatsächlich auch reisen.

Meine ganz persönlichen Erinnerungen an diesen Mann haben erst in zweiter Hinsicht etwas mit dem „Waffenschmied“ zu tun. Obgleich ich insgesamt zehnmal dort zu Gast war, hatte ich leider nie Gelegenheit, Herrn ANSCHÜTZ dort zu erleben.

Ich begegnete ihm erst viel später, als es den „Waffenschmied“ nicht mehr gab.

Ich traf ihn am Morgen nach dem allerletzten japanischen Gastmahl im „Waffenschmied“ im Juni 1993 in seinem inzwischen in Oberhof gegründeten Japanhotel „Sakura“ (Kirschblüte).

Über dieses Hotel berichtete auch der japanische Fernsehsender NHK ausführlich und würdigte Rolf ANSCHÜTZs unermüdliches Wirken als Koch und Gastronom im Sinne der japanisch-deutschen Freundschaft.

Später begegneten wir uns dann regelmäßig bei Empfängen u. a. zum Geburtstag des Kaisers im japanischen Generalkonsulat und ab 2000 in der Botschaft von Japan sowie auch bei mehreren Jahrestagungen des Verbandes Deutsch-Japanischer Gesellschaften. Wir waren seit einigen Jahren sozusagen „Amtsbrüder“, da wir beide Präsidenten einer Deutsch-Japanischen Gesellschaft waren, er in Oberhof und ich in Halle. Aus diesen verschiedenen Begegnungen wurde schließlich Freundschaft, die auch unsere Ehepartner einschloss.

Zahlreiche Berichte und Dokumente zeugen von seinem unermüdlichen Einsatz für die japanische Kultur und qualifizieren ihn als interkulturellen Brückenbauer/Brückengänger. Als ein Beispiel sei hier aus dem Bericht eines Japaners zitiert, der Rolf ANSCHÜTZ kennen- und schätzen gelernt hatte.

Herr IZUI Hirokazu schreibt in einem Bericht, betitelt „Besuch in Ostdeutschland“ u. a. über die Badezeremonie und den Verlauf des Abends im „Waffenschmied“:

Wenn sie [die Gäste] ankommen, werden sie gebeten, ihre Kleidung abzulegen und „Kimonos“ anzuziehen. Die Gäste werden nun in das Bad geleitet.

Männer und Frauen baden gemeinsam, was mich vermuten lässt, dass die Deutschen recht unbekümmert mit ihrer Nacktheit umgehen können.

Im Laufe des Abends werden nun verschiedene Gerichte serviert. Den Anfang machte Yakitori. Die Gäste aßen und tranken, während sie ihre heitere Unterhaltung fortsetzten.

6-Im Japan. Bad O-Furo, Prosp Waffenschmied

Im japanischen Bad O-Furo (Prospekt „Waffenschmied“)

 

 7-Gastmahlszene.jpg

                           Gastmahl-Szene

8-Gedenktafel

                   Gedenktafel

Am 14. Oktober 2012, vier Jahre nach dem Tod von Rolf ANSCHÜTZ, hatte der Film „Sushi in Suhl“ Premiere in Suhl. Aus diesem Anlass enthüllten der Suhler Oberbürgermeister Dr. Jens Triebel und Frau Sabine ANSCHÜTZ an der Fassade des ehemaligen „Waffenschmied“ eine Gedenktafel.

Rolf ANSCHÜTZ war bereits zu DDR-Zeiten ein erfolgreicher Brückenbauer/Brückengänger zwischen Japan und Deutschland. Er hätte es wohl verdient, Ehrenbürger seiner Heimatstadt Suhl zu werden. Dies war ihm nicht vergönnt. Nach langer Krankheit verstarb er im Jahr 2008.

Sabine Anschüz

 

Über die Co-Autorin: Sabine ANSCHÜTZ – Brückengängerin
Grundschullehrerin. Sie führte zusammen mit Rolf ANSCHÜTZ von 1991 bis 2002 das Japanhotel „Sakura“ (Kirschblüte) in Oberhof. Zahlreiche Gegenstände und persönliche Erinnerungsstücke aus dem „Waffenschmied“ übereignete sie dem Haus der Geschichte in Bonn.

 

09-G.Seifert

 

Über den Autoren: Gero SEIFERT – Brückengänger
Dipl.-Ing. (FH) für chemische Technologie, Gründungsmitglied der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Halle/Saalekreis e. V. und deren Präsident von 1998 bis 2020. Insgesamt sieben Besuche in Japan, davon fünf in Inuyama bei der Partnergesellschaft Japanisch-Deutsche Gesellschaft Inuyama und im Zuge des Schüleraustausches Inuyama-Halle.

In den 1980er Jahren zehnmal Gast im „Waffenschmied“ bis zum letzten Gastmahl im Juni 1993.

Das JDZB dankt Frau ANSCHÜTZ und Herrn SEIFERT, dass sie ihre Erinnerungen mit uns geteilt haben. 
Alle hier gezeigten Fotos wurden von ihnen zur Verfügung gestellt.

Coverbild: Japanische Spezialisten zu Gast