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Brückengängerin: NAGAI Junko – ein Leben lang Journalistin

Frau NAGAI Junko, 87 Jahre jung, lebt seit vielen Jahren in Deutschland und hat Deutschlandberichte nach Japan vor allem im Rundfunk gesendet. Es ist nicht einfach, ihr langes und dramatisches Leben in einem kompakten Artikel zusammenzufassen. Wie Frau NAGAI zu sagen pflegt, könnte es ein „nagai Artikel“ werden – nagai ist im Japanisch ein Homonym von „lang“. Wie dem auch sei, ich werde es trotzdem versuchen.

Anlässlich des 160sten Jubiläums japanisch-deutscher diplomatischer Kontakte stellen wir – und auch unsere Freunde und Partner – in der Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ Menschen aus beiden Ländern vor, die die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mit Leben erfüllt haben oder noch erfüllen. In einer gemeinschaftlichen Publikation der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tōkyō und des JDZB „Brückenbauer – Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches“ (2005, IUDICIUM Verlag) wurden bereits viele Menschen gewürdigt, welche die deutsch-japanischen Beziehungen aktiv gestaltet haben. Hier knüpft diese Rubrik an, die wir auf Initiative von SEKIKAWA Fujiko (Leiterin Sprachendienst JDZB) gestartet haben. Neben berühmten Persönlichkeiten werden auch weniger bekannte Personen vorgestellt. Seien Sie gespannt!

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Frau NAGAI wurde 1934 in Tōkyō geboren. 1958 schloss sie ihr Studium der Deutschen Sprache/Germanistik an der Tōkyō Gaikokugo Daigaku (Tōkyō University of Foreign Studies) ab und fand eine Anstellung beim Rundfunksender Rajio Tanpa (Kurzwellenrundfunk), einem der wenigen Sender, die damals Produzentinnen – also weibliche Produzenten – einstellten. Dort arbeitete sie mehr als zehn Jahre, doch die diskriminierende Arbeitssituation, in der Frauen bei der Gehaltserhöhung wie auch bei der Beförderung unverhohlen benachteiligt wurden, widerte sie an, so dass sie über einen Arbeitsplatzwechsel nachzudenken begann. 1972, im Alter von 38 Jahren, zog sie nach Köln, um als Rundfunkjournalistin in der japanischen Sprachabteilung des öffentlich-rechtlichen deutschen Auslandsrundfunks „Deutsche Welle“ zu arbeiten.

In ihrem autobiografischen Buch „Hōsōkisha, Doitsu ni Ikiru“ (Rundfunkjournalistin – in Deutschland lebend; Verlag Mirai, 2013) wird dieser Lebensabschnitt anschaulich beschrieben. Hier ein kurzer Auszug:

 Dass Klaus ALTENDORF, der Leiter des Japan-Referats der Deutschen Welle, meinen Hintergrund als „eine Frau mit Rundfunkerfahrung“ anerkannt hat, rührte mich fast zu Freudentränen. (…) An meinem neuen Arbeitsplatz arbeiten viele Frauen: Deutsche und Ausländerinnen, ältere und junge, verheiratete und ledige, mit und ohne Kinder – und das ist alles ganz selbstverständlich. Das ermutigt mich sehr. In Japan hatte ich das Gefühl, dass eine berufstätige Frau an eine Mauer stößt und eingeschränkt wird. In Deutschland kann ich zum ersten Mal uneingeschränkt atmen. Ich habe das Gefühl, dass mein Leben erst jetzt, hier in Deutschland, richtig beginnt. (Seite 27)

Anfangs bestand ihre Arbeit hauptsächlich darin, deutschsprachige Nachrichten der Nachrichtenredaktion oder Kommentare deutscher Journalistinnen und Journalisten in die japanische Sprache zu übersetzen und diese live vor dem Mikrofon vorzulesen. Aber allmählich wuchs in ihr der Wunsch, „Menschen vorzustellen“ und sie begann, viele Interviewsendungen mit interessanten Persönlichkeiten zu produzieren. Beispielsweise Menschen, die bereits auch in dieser Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ vorkamen: die Schauspielerin Michiko TANAKA-DE KOWA oder Rolf ANSCHÜTZ, dessen Leben die Vorlage zum Film „Sushi in Suhl“ war.

Die 1970er Jahre, als Frau NAGAI ihre Arbeit bei der Deutschen Welle aufnahm, war die Hochzeit der Frauenrechtsbewegung. Sie war sich der Problematik der Genderdiskriminierung stets bewusst und produzierte häufig Programme zur Verbesserung des gesellschaftlichen Status von Frauen.

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 Abschiedsfeier von der Deutschen Welle mit Klaus Altendorf, der erste Leiter des Japan-Referats

 

 

 

 

 

27 Jahre lang berichtete Frau NAGAI über Deutschland in japanischer Sprache von der Deutschen Welle in Köln aus. Die größten Ereignisse in dieser Zeit waren der Fall der Berliner Mauer 1989 und die Vereinigung von Ostdeutschland (DDR) und Westdeutschland (BRD) im darauffolgenden Jahr. 1999 wurde die Hauptstadt von Bonn nach Berlin verlegt, gerade als Frau NAGAI im Alter von 65 Jahren das Rentenzugangsalter erreichte. Im folgenden Jahr zog sie von Köln – von der Stadt, die sie als ihre zweite Heimat betrachtete – nach Berlin und nahm ihre Laufbahn als freie Journalistin auf.

 

Eine ihrer Haupttätigkeiten in dieser Zeit war die Arbeit als Berlinreporterin für die „Rajio Shinyabin“ (Radio Mitternachtspost) des japanischen öffentlichen-rechtlichen Rundfunk NHK. Acht Jahre lang hat sie die Hörerinnen und Hörer in Japan über Berlins rasanten Wandel zur neuen Hauptstadt des vereinigten Deutschlands sowie über Opern und Konzerte und andere kulturelle Ereignisse auf dem Laufenden gehalten. Als sie diese Arbeit 2008 beendete, war sie 74 Jahre alt, ihr 50jähriges Jubiläum in der Radiowelt.

 

Sie kam jedoch nicht auf die Idee, in einen „gemächlichen Ruhestand“ zu gehen. Mit dem Ziel, lebenslang aktiv zu arbeiten, schickte sie weiterhin Artikel aus Deutschland für das PR-Magazin des Verlags Mirai, wie sie es bereits während ihrer Zeit bei der Deutschen Welle regelmäßig getan hatte. 2011 kam es zu einem weiteren Wendepunkt: Das Große Ostjapanische Erdbeben, das die AKW-Havarie von Fukushima verursachte. Daraufhin hat die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. In Japan hingegen schien aufgrund unterschiedlicher bestehender Zwänge ein Umdenken nicht möglich zu sein. Deshalb schloss sich Frau NAGAI mit einigen in Berlin ansässigen Japanerinnen zusammen und rief die Website „Midori no Ichikirowatto“ ( Ein grünes Kilowatt; https://midori1kwh.de ) ins Leben, um in japanischer Sprache Informationen über die Energiewende in Deutschland bereitzustellen.

 

 

„Midori no Ichikirowatto“ ist keine kommerzielle Website, sondern eine ausschließlich ehrenamtliche Initiative. Auch die Autorin dieses Beitrages hat eine Zeit lang als freiwilliges Mitglied dieser Website mitgewirkt. Wir trafen uns alle vierzehn Tage zu einer Redaktionssitzung, zu denen die Mitglieder ihre Manuskripte zur Diskussion mitbrachten. Diese Sitzungen waren stets unterhaltsam und intellektuell anregend. Da ich erst vor einigen Jahren nach Berlin gezogen bin und mich mehr über die deutsche Gesellschaft informieren wollte, war dies für mich eine großartige Gelegenheit. Dabei konnte ich auch die menschliche Seite von Frau NAGAI kennenlernen. Sie hat einen rebellischen Geist, zeigt offen ihre Wut über soziale Missstände und ist voller Mitgefühl für die Schwachen. Außerdem liebt sie gutes Essen und ist ein wenig schusselig, und dafür wird sie von allen Mitgliedern geliebt.

 

Aus unterschiedlichen persönlichen Gründen gab es Wechsel bei den Mitgliedern von „Midori no Ichikirowatto“, aber Frau NAGAI ist die Konstante, die bis heute eine produktive Schreiberin ist. „Ich will sehen, wie es mit der Energiewende bis 2022 weitergeht, die die Bundesregierung beschlossen hat“ ist eine Redewendung, die sie oft benutzt.

 

Soweit der Werdegang von Frau NAGAI in Kürze. Ich möchte hier noch ihre Bücher vorstellen. Neben den Werken „Doitsu to Doitsujin“ (Deutschland und die Deutschen; 1994) und „Shinshuto Berurin kara“ (Aus Berlin, der neuen Hauptstadt; 2004) gibt es das oben genannte Werk „Hōsōkisha, Doitsu ni Ikiru“ (Rundfunkjournalistin – in Deutschland lebend; 2013), die alle im Verlag Mirai erschienen sind. 2019, als sie 85 Jahre alt war, hat sie zusammen mit Frau HAMADA Kazuko das Werk von Elisabeth SANDMANN: „Der gestohlene Klimt“ (2015) in die japanische Sprache übersetzt, das unter dem Titel „Ubawareta Kurimuto – Maria ga Ōgon no Adēre wo Torimodosu made“ (Gustav KLIMT – wie Maria „Die Frau in Gold“ zurückholte)“ beim Verlag Nashinokisha erschien.

 

Nagai Junko

 

Wenn man die immer energische Frau NAGAI trifft, vergisst man ihr Alter. Sie ist jetzt 87 Jahre alt. Als erfahrene Journalistin schaut sie auf die jungen Journalistinnen und Journalisten mit warmherzigem Blick. Ich liebe es, wenn sie manchmal über „die Jungs“ erzählt. Bei den „Jungs“ handelt es sich um japanische Journalisten, mit denen Frau NAGAI seit vielen Jahren eng befreundet ist. Die Journalisten kamen als Büroleiter großer japanischer Zeitungen und Fernsehsender nach Deutschland. Ich finde es lustig, dass diese Männer in der Blüte ihrer Karriere und mit ihren respektablen Titeln in den Augen von Frau NAGAI zu „Jungs“ werden.
In den letzten Jahren sind einige Frauen als Korrespondentinnen großer japanischer Medien nach Deutschland gekommen. Einst sagten japanische Medienvertreter (männlich!) zu Frau Nagai, dass „keine Journalistin zu ihrer Lebzeit nach Deutschland kommen wird“, worüber sie sich sehr geärgert hat. Heutet strahlt sie: „Frauen wurden in meiner Lebzeit als Korrespondentin in Deutschland eingesetzt!“ und freut sich für die jungen Kolleginnen.

 

Über ihre Schwäche sagt sie: „Ich kann mit Elektronik nicht umgehen und verstehe nicht viel von technischen Dingen.“ Aber in Wirklichkeit stimmt das überhaupt nicht. Als sie die Website gründete, hatte sie anfangs Probleme, Fotos hochzuladen. Aber dann habe ich eine Freuden-E-Mail erhalten, dass sie es geschafft habe. Heute benutzt sie das neueste iPhone-Modell. Neulich fragte sie mich: „Benutzt du LINE? Damit ist es viel einfacher, Fotos zu verschicken.“ Ich hatte damals nicht einmal ein Smartphone und war ziemlich erstaunt und wusste nicht, was ich antworten sollte.

 

„Liebe Frau NAGAI, ich habe endlich ein Smartphone gekauft. Lassen Sie uns das nächste Mal ein Selfie zu zweit machen!“

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imai und nagai

 

 

 

 

 

 

Die Autorin: IMAI Mizuki – Brückengängerin

Geboren 1973 in der Präfektur Shiga, schloss sie ihr Studium der englischen und USAmerikanischen Sprache bzw. Anglistik und Amerikanistik an der Tōkyō Gaikokugo Daigaku (Tōkyō University of Foreign Studies) ab. Nach ihrer Arbeit für einen Verlag in Japan und einem Studium in Großbritannien lebt sie seit 2009 in Berlin. Seit 2015 arbeitet sie als Lehrerin für „Japanisch als Fremdsprache“ im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin. Daneben ist sie als freiberufliche Lektorin, Korrektorin und Übersetzerin (Japanisch-Englisch) tätig.

 

 

 

Alle Fotos wurden von Frau NAGAI und der Autorin zur Verfügung gestellt.
Übersetzung: Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin