„Verstehen Sie Spaß?“
Das ist die Frage, auf die ich schon lange warte. Bei dem Angebot per Telefon, bei der Vorbereitung, auf der Zugfahrt nach Berlin, auf dem Weg zum Berliner Flughafen.
Doch sie kommt nicht.
Und ehe ich wirklich fassen kann, was mit mir passiert, habe ich japanischen Boden unter den Füßen. Und als ich blinzle und mich sicherheitshalber nochmal in den eigenen Arm kneife, muss ich feststellen: es ist kein Traum. Ich bin wirklich wach und hier. In einem anderen Land, acht Zeitstunden von meinem Zuhause entfernt, und das nach zweieinhalb Jahren der Corona-Pandemie. Es muss wohl doch ein Traum sein und ein schöner noch obendrein.
Aber nun mal der Reihe nach. Schließlich kann man sich auch den schönsten aller Träume in der Wirklichkeit erklären ohne ein Psychologiestudium in Freud‘scher Tiefenpsychologie absolviert zu haben.
Angefangen hatte dieses Abenteuer mit dem (digitalen) Austauschprogramm für junge Ehrenamtliche des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin (JDZB) im September 2022. Innerhalb von einer Woche hatten sich Ehrenamtliche zwischen 18 und 26 Jahren in Deutschland und Japan vor die eigenen Bildschirme gesetzt, ihre Mikrofon- und Videoeinstellungen überprüft und sich über ihre Arbeit als Ehrenamtliche und die damit verbundenen Freuden und Herausforderungen ausgetauscht (‚Ärgernisse‘ wäre an mancher Stelle möglicherweise passender gewesen, aber wir sind ja jung und sehen in allem eine neue ‚Challenge‘). Trotz Reiseeinschränkungen aufgrund der anhaltenden Pandemie hatten sich 35 junge Leute zusammengefunden, um sowohl deutsche als auch japanische ehrenamtliche Institutionen (digital, versteht sich) kennenzulernen und sich zu vernetzen. Unser gemeinsamer Nenner: unsere Faszination für die deutsche bzw. japanische Kultur und für unser jeweiliges Ehrenamt.
Als Schnittpunkt dieser beiden Kulturen und der Förderung der bilateralen Freundschaft wurde das JDZB vom Bundespräsidialamt gebeten, einige Vorschläge zu machen, wer von den jungen Ehrenamtlichen aus diesem Austausch gegebenenfalls unseren derzeitigen Bundespräsidenten Frank-Walter STEINMEIER und seine Frau, Elke BÜDENBENDER, auf deren Staatsbesuch in Japan und Südkorea als Vertreter*in für das deutsche Ehrenamt begleiten könnte.
(Ja, diesen Satz darf man auch gerne nochmals lesen bis er sich setzt – das hat bei mir ungefähr zwei Wochen gedauert.)
Die Leute, die bei der Fernsehsendung Verstehen Sie Spaß? hereingelegt werden, haben bekanntlich oftmals keine Ahnung, wie sie zu dieser Ehre kommen. Nach dem Angebot, das deutsche Ehrenamt in Japan und Südkorea zu vertreten, kam ich mir genauso vor: ziemlich nichts ahnend, wie das zustande gekommen war. Und noch bis zur Ankunft am Flughafen in Berlin hatte ich mit dem Auftritt von Guido CANTZ, Moderator von Verstehen Sie Spaß?, gerechnet. Da er aber nicht auftauchte, musste ich davon ausgehen, dass die Japanreise doch Wirklichkeit war.
Zwei Länder (Japan und Südkorea), vier Städte (Tōkyō, Kyōto, Seoul und Busan), fünf Tage (Dienstag bis Samstag). Von ‚Urlaub‘ und ‚Entspannung‘ kann man da nun wirklich nicht reden.
Dienstag, 1. November 2022: Tōkyō I
Ein abwechslungsreiches Programm, das muss ich schon sagen: fünf Tage wurden in einem gut 230 Seiten dicken Booklet aufgedröselt mit Zeitangaben, Informationen zu den Ländern und Sehenswürdigkeiten und Verweisen, wer bei welchem Termin mit wem wohin unterwegs sein sollte oder auch muss. Die oberste Prämisse: der Bundespräsident wartet nicht. Wer nicht zur Abfahrt da ist, muss sich selbst darum kümmern, wie er bzw. sie weiterkommt – selbst, wenn er bzw. sie explizit auf der Liste der Diskussionsteilnehmer*innen steht. (Spoiler: Wir haben niemanden verloren und/oder zurückgelassen – alle kamen wieder in Deutschland an.)
Bei den großen wirtschaftlichen und politischen Veranstaltungen waren nicht immer alle Vertreter*innen der deutschen Delegation dabei. Die scheinen wohl auch nicht immer für alle gleichermaßen interessant zu sein, und Frau BÜDENBENDER hatte zeitweise auch ihr eigenes Programm. Dankenswerterweise durfte ich bei zwei Terminen (einer in Tōkyō, einer in Seoul) an ihrem Programm teilnehmen und somit einen weniger politisch und mehr gesellschaftlich geprägten Eindruck von den Ländern erhalten.
Ihr erster Termin in Japan war im DAWN Avatar Robot Café, dessen Bedienungen Roboter sind, welche wiederum digital von Menschen in ganz Japan gesteuert werden. Natürlich kann sich nicht jeder einfach einloggen und eine Bestellung aufnehmen; die Personen hinter den robotischen Stimmen sind aufgrund von physischen, psychischen oder geographischen Gegebenheiten nicht in der Lage, vor Ort im Café zu arbeiten oder ihr Haus zu verlassen. Auf Instagram wurde dieser Besuch passenderweise mit „Inklusion in der Arbeitswelt“ betitelt.
Mittwoch, 2. November 2022: Tōkyō II
Ganz allein musste ich das deutsche Ehrenamt schlussendlich doch nicht vertreten. Da die gesamte Reise zwei Länder abdecken sollte, wollte das Bundespräsidialamt auch gerne zwei junge Ehrenamtliche dabeihaben – mit Japan- und mit Korea-Bezug. In jedem Land sollte ein Austausch mit dortigen Ehrenamtlichen und Herrn STEINMEIER und Frau BÜDENBENDER geführt werden. Oscar FREYER als Vertreter der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft e. V. und ich als Vertreterin des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin sollten uns mit unserer Erfahrung einbringen.
Der Austausch in Tōkyō fand im Tsutaya Books Daikanyama T-Site statt. Der Buchladen fungiert gleichzeitig als Coffeeshop, weshalb wir erst einmal mit Getränken versorgt wurden, bevor Professor Franz WALDENBERGER vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tokyo den Austausch mit einer Vorstellungsrunde eröffnete. Auf japanischer Seite waren drei Ehrenamtliche vertreten, darunter eine japanische Teilnehmerin des digitalen Austauschs, bei dem auch ich teilgenommen hatte (ist die Welt nicht klein und sieht man sich nicht immer zweimal?!).
Als thematischer Schwerpunkt unseres Austauschs wurde „Die Stellung des Ehrenamts in der Gesellschaft“ deklamiert. Eine einzige Stunde für den Austausch mag nicht ausreichend wirken, um eine tiefgreifende Diskussion hervorzurufen; aber sie hatte doch ausgereicht, um viele Parallelen in der deutschen und japanischen Gesellschaftsstruktur und Wahrnehmung des Ehrenamts zu verdeutlichen. Um ein paar Beispiele (ohne Kommentar) zu nennen: „‚Die Jugend‘ macht heute ja nichts mehr“; „Wo sind die Vorbilder der jungen Ehrenamtlichen?“; „Zeitdruck“; „Schulische und akademische Leistung vor Selbstverwirklichung“; „Ehrenamtliches Engagement: Nur Zeitvertreib und -verschwendung?“; „Persönliche Weiterentwicklung“; „Internationale Freundschaften“; „Sprachkenntnisse“; „Zugehörigkeitsgefühl“.
Zwei Aspekte an diesem Austausch möchte ich aber doch kommentieren. Zum einen hatten Herr STEINMEIER und Frau BÜDENBENDER ein offenes Ohr für die Feinheiten und unterschwelligen Erfahrungen unserer Aussagen und haben nicht nur aktiv nachgefragt, sondern auch nach unserer Perspektive und Meinung gefragt, was die Politik für mehr ehrenamtliches Engagement tun könne. Zum anderen hatte sich eine Woche nach diesem Austausch herausgestellt, dass eine der japanischen Vertreterinnen und ich bereits fünf Jahre zuvor bei einem deutsch-japanischen Austausch in Deutschland zusammengearbeitet hatten (wenn auch in verschiedenen Gruppen) – ist Ehrenamt nicht international?
Freitag, 4. November 2022: Seoul
Der zweite Austausch mit jungen Leuten findet in Seoul statt, der Schwerpunkt wird dieses Mal auf die Situation der jungen Generation und die demografischen Herausforderungen gelegt. Es sind junge Menschen aus Südkorea vertreten, nicht unbedingt Ehrenamtliche. Aber das ist an diesem Tag auch nicht besonders wichtig: überschattet wird unser Gespräch von dem am 31. Oktober stattgefundenen Unglück bei einer Halloween-Party in den Straßen Seouls; 150 junge Menschen sind durch die Zusammenführung dreier Straßen an einer Engstelle zu Tode gekommen.
Anteilnahmen werden zuallererst ausgetauscht, unseren koreanischen Gesprächspartner*innen stehen Tränen in den Augen. Keine*r von den vier Anwesenden kannte jemanden, der zu Tode gekommen ist; und doch hängt mir eine Aussage nach: „They were my age“ („Sie waren in meinem Alter“). Ich habe ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, würde am liebsten die nächstbeste Person in die Arme nehmen, wenn uns nicht die Masken in den Gesichtern an die pandemiebedingten Abstandsregelungen erinnern. Vor Abflug in Deutschland hatte ich noch nicht den Eindruck, als würden mich die Geschehnisse am anderen Ende der Welt beeinflussen können; hier vor Ort merke ich, es gibt gar keinen Unterschied zwischen den einzelnen Personen, es sind keine Papierfiguren der Presse, sondern reale Charaktere mit Empathie und alltäglichen Sorgen. Wenn Weihnachten das Fest der Nächstenliebe und des Mitgefühls für andere Personen ist, dann war für mich Weihnachten an diesem Morgen.
Unser Austausch wendet sich schnell den Herausforderungen unserer Generation zu. Das Thema des Klimawandels klammern wir großzügig aus (Donnerstag in Kyōto und Samstag in Busan stehen ganz dem Klimawandel und den damit verbundenen Aufgaben zu, dafür sind auch unsere Klimaforscher mitgekommen). Wir fokussieren uns auf die immer schnelllebigere Gesellschaft, die sich beständig wandelnde Rollenverteilung und die steil sinkende Geburtenrate in Südkorea. Während in Deutschland eine Frau nach ihrem Mutterschutz immer noch Anspruch auf ihren Arbeitsplatz hat, wird die Stelle in Südkorea neu vergeben. Die Zukunft vieler Frauen besteht daraufhin aus der Versorgung der Familie, der Unterstützung des Ehemanns und der Erziehung der Kinder. Einen Wiedereinstieg in die Berufslaufbahn wagen die wenigsten. Nicht zuletzt ist die finanzielle Entlohnung der Berufe von Männern und Frauen ausschlaggebend für das Daheimbleiben der Frau. Eine der anwesenden Südkoreanerinnen bestätigt, was man auch in Deutschland immer mehr merkt: sie will eine Karriere und Unabhängigkeit; und dies lässt sich unter den gegebenen Voraussetzungen nur ohne eine eigene Familie verwirklichen, auch wenn sie gerne beides hätte.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer für Emanzipation lässt Frau BÜDENBENDER Programmpunkt am Mittag erahnen: sie trifft sich mit Vertreter*innen der Ewha Womans University, um über die Lage der Frauen in Südkorea zu sprechen. Diese Universität ist einzigartig in Südkorea: nur Frauen ist ein Studium dort erlaubt, nur unter den Lehrenden sind einige Männer aufzufinden. Aus dem Ausland sind für einzelne Semester auch männliche Gaststudierende zugelassen, einen Abschluss können sie aber nicht erwerben. Frau BÜDENBENDER schöpft aus ihrer eigenen Erfahrung als Richterin und Mutter, erzählt von der Vielfältigkeit der „Working Mom“ und spricht unverblümt Probleme und Herausforderungen an. Die Vertreter*innen der Universität adressieren die für Frauen eher schwierige politische Lage und die unterschiedlichen Lohnsysteme für Frauen und Männer. (Fun Fact: Die beiden männlichen Vertreter der Universität sind auffällig schweigsam während der Diskussion…)
Was habe ich vergessen zu erwähnen…
Ach ja, Bundespräsident STEINMEIER war auch mit auf dieser Reise. Es ist rückblickend eine der am häufig gestellten Fragen, wie ich ihn erlebt habe. Inzwischen kann ich dazu wohl zusammenfassend sagen: „So viel habe ich nicht von ihm mitbekommen. Er hatte sein eigenes Programm mit vielen politischen Gesprächspartnern und vertraulichen Gesprächen; es hätte mich schon sehr gewundert, wenn ich da dabei sein hätte dürfen. Am ehesten hatte ich noch bei den beiden Diskussionen die Chance, ein Wort mit ihm zu wechseln, ansonsten war dafür weder die Zeit noch die Möglichkeit.“
Vor der Reise hatte ich Herrn STEINMEIER und Frau BÜDENBENDER gegoogelt (man muss sich ja irgendwie informieren, wenn man nicht ins Zeitungsarchiv gehen will). Wikipedia teilte mir mit, dass die beiden eine 26-jährige Tochter haben. Sympathisch, dachte ich mir im Voraus.
Und nach der Reise? Immer noch sympathisch, wenn nicht sogar noch mehr. Ich hatte zu keinem Moment den Eindruck, dass wir Ehrenamtliche nur für die Medien mitgenommen wurden, die beiden waren ehrlich interessiert an unseren Meinungen. Ihr ehrliches Interesse und die Bodenständigkeit der beiden hatte mich davon überzeugt, nicht die Pressemitteilungen, die alles und nichts aus dem Kontext herausgenommen sagen können.
Kontext ist ein gutes Stichwort zum Schluss: Herr STEINMEIER setzt sich für ein ehrenamtliches Engagement für eine gewisse Zeitspanne aller in Deutschland ein. Aus dem Kontext heraus, könnte man das (wie so manche Medien das bereits gemacht haben) wie die Wiedereinführung des Zivildienstes interpretieren; ist es nur nicht, denn alle und jede Altersgruppe sollten sich angesprochen fühlen, einen kleinen Beitrag zum Gemeinschaftsgefühl zu leisten. Das geht meist einfacher als man denkt und manchmal führt einen dieses Ehrenamt auch unverhofft nach Japan und Südkorea.
*Die Autorin war Teilnehmerin des Deutsch-Japanischen Austauschprogramms für junge Ehrenamtliche 2022 zum Jahresthema „Gesellschaftliche Partizipation junger Menschen“, welches aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie gefördert wird. Auf deutscher Seite ist das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin für die Programmdurchführung verantwortlich; auf japanischer Seite für 2022 das National Institution for Youth Education. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde 2022 das o. g. Austauschprogramm in Online-Format durchgeführt.