MIYAZAWA Kōichi – Brückenbauer und Brückengänger der Rechtswissenschaft

Unsere Kollegin Frau Dr. Phoebe Stella HOLDGRÜN hat Herrn Dr. Jan GROTHEER – einem langjährigen Kooperationspartner des JDZB – gebeten, für diese Rubrik einen Beitrag zu schreiben.

Miyazawa

Anlässlich des 160sten Jubiläums japanisch-deutscher diplomatischer Kontakte stellen wir – und auch unsere Freunde und Partner – in der Rubrik „Brückengängerinnen und Brückengänger“ Menschen aus beiden Ländern vor, die die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern mit Leben erfüllt haben oder noch erfüllen. In einer gemeinschaftlichen Publikation der Japanisch-Deutschen Gesellschaft Tōkyō und des JDZB „Brückenbauer – Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches“ (2005, IUDICIUM Verlag) wurden bereits viele Menschen gewürdigt, welche die deutsch-japanischen Beziehungen aktiv gestaltet haben. Hier knüpft diese Rubrik an, die wir auf Initiative von SEKIKAWA Fujiko (Leiterin Sprachendienst JDZB) gestartet haben. Neben berühmten Persönlichkeiten werden auch weniger bekannte Personen vorgestellt. Seien Sie gespannt!

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Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Strafrechtslehrer Prof. Dr. Winfried HASSEMER hat auf einem von der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung (DJJV) gemeinsam mit der Goethe-Universität Frankfurt aus Anlass des einjährigen Todestages von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. MIYAZAWA Kōichi veranstalteten Gedenkkolloquiums über ihn gesagt:

Von Deutschland und von unserer Wissenschaft hergesehen, war MIYAZAWA ein großer Brückenbauer und überdies einer der wenigen, die ihre Brücken nicht nur gebaut, sondern in der Folgezeit auch unterhalten, ausgebessert und gepflegt haben. Das gilt geographisch, es gilt kulturell, und es gilt wissenschaftlich – also fast universell. Davon war und ist heute viel die Rede. Das alles hat er nur deshalb erreichen können, weil er kein Tüftler war, der sein wissenschaftliches Leben dem Begriff der Urkunde oder dem Rücktritt vom Versuch widmet. Er war das Gegenteil. Er war ein Mensch und ein Wissenschaftler, der sich bewegt, der ausgreift und entwirft. Dabei hat er viele erreicht und überzeugt, die ihm gefolgt sind. Unsere Wissenschaft sähe – nicht nur in Japan und in Deutschland – heute ärmer aus, hätte es ihn nicht gegeben.

Damit ist im Grunde das Wichtigste gesagt, aber natürlich nicht alles über den Brückenbauer und Brückengänger MIYAZAWA Kōichi. Er ist am 23. Mai 1930 geboren und hat schon früh Kontakt mit der deutschen Sprache gehabt, nicht durch die Schule, vielmehr durch seinen Vater, einen bekannten und wohlhabenden Bankier, aber auch begeisterten Sänger, der sich in seiner Freizeit dem deutschen Liedgut widmete. MIYAZAWA Kōichi hat immer erzählt, welchen nachhaltigen Eindruck die Lieder von SCHUBERT und SCHUMANN, die er als Kind gehört hatte, bei ihm hinterlassen haben.

Er studierte Jura an der Keiō-Universität und hat bereits dort seine Deutschkenntnisse mit großem Fleiß vertieft, die es ihm ermöglichten, nach dem Examen und der Ernennung zum wissenschaftlichen Assistenten ein DAAD-Stipendium zu bekommen, mit dem er von 1957 bis 1959 an der Universität Heidelberg studierte und deutsches Recht erlernte. Er kam zurück nach Japan als fließend Deutsch sprechender Experte des deutschen Rechts. Bald nach seiner Rückkehr wurde er zunächst zum Assistenz-Professor und bereits 1966, mit 36 Jahren, zum ordentlichen Professor an der Keiō-Universität ernannt.Sein Wirken an der Keiō-Universität beschreibt sein Schüler und heutiger Nachfolger als Brückenbauer/Brückengänger Prof. Dr. Dres. h. c. IDA Makoto (*1956) wie folgt:

In den 1960er Jahren stand auch in Japan die vollständige Reformierung des Strafgesetzbuchs zur Debatte. MIYAZAWA wurde wiederholt beauftragt, die Reformdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland vorzustellen und wichtige Gesetzesentwürfe sowie einflussreiche Aufsätze zu übersetzen. Dadurch und durch seine mehrmaligen Deutschlandaufenthalte eignete er sich die liberale Kriminalpolitik an, die insbesondere von den sog. Alternativ-Professoren vertreten wurde. Er zögerte nicht, auch bei zwei, in Japan besonders schwer zu diskutierenden Themen eine klare Stellungnahme zu beziehen. Er kämpfte nämlich zum einen für die Abschaffung der Todesstrafe und zum anderen für die Liberalisierung des Sexualstrafrechts.

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Mit einem großen Aufwand widmete er sich einer in 20 Auflagen erschienenen Biografie und Bibliografie deutscher Strafrechtslehrer, die damals in internetlosen Zeiten ein unentbehrlicher Helfer für japanische – aber auch deutsche – Strafrechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler war, wenn sie sich über Personen und Veröffentlichungen informieren wollten.

Es können hier nicht alle seine vielfältigen wissenschaftlichen Arbeiten und internationalen Verbindungen aufgezählt werden, nicht vergessen werden darf aber, dass er ein deutsch-japanisches Strafrechtskolloquium gegründet hat und er Präsident der „World Society of Victimology“ sowie der „World Society of Criminology“ war.
Geehrt worden ist er vielfältig: Hervorzuheben ist, dass ihm in Japan und Deutschland umfangreiche Festschriften gewidmet wurden und ihm vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen wurde.

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Miyaza

 

Abschließend seien mir einige persönliche Anmerkungen zu meinem Freund MIYAZAWA Kōichi und zu seiner Bedeutung für die Deutsch-Japanische Juristenvereinigung erlaubt:
Alles begann an einem späten Abend im Herbst 1984 mit einem Anruf. Ich befand mich in Tōkyō als Austauschrichter beim Japanischen Obersten Gerichtshof. Dies war auch zu Prof. MIYAZAWA gedrungen. Mit seinem Anruf lud er mich zu einem Ausflug nach Kamakura am folgenden Sonntag ein. Als ich nach zehn Stunden von diesem Ausflug zurückkehrte, hatte er mich gefangen, mit seiner Liebenswürdigkeit, seiner offenen Art und nicht zuletzt mit vielen Informationen und Erkenntnissen. Er war für mich – wenn ich das mal so sagen darf – ein Menschenfischer, ein Mann, dem es in kurzer Zeit gelang, Menschen für sich einzunehmen. Und wie sich für mich auch immer wieder bestätigte, war ich keineswegs der einzige, der von ihm gefangen war.

Die Schilderung dieses ersten Kontaktes lässt unschwer erkennen, dass MIYAZAWA Kōichi durchaus nicht dem Vorurteil entsprach, das man herkömmlich über Japaner hat. Er war keineswegs zurückhaltend oder gar verschlossen, sondern ging auf Menschen zu, war meinungsstark und offen.

Ich war 1984 mit dem festen Vorsatz nach Japan gereist, die Möglichkeit der Gründung einer Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung (DJJV) zu prüfen. Und für diese Idee erwies sich MIYAZAWA Kōichi als wahrer Glücksfall. Schon an diesem Sonntag in Kamakura haben wir über mögliche Strategien diskutiert. MIYAZAWA Kōichi war – wie es seiner Art entsprach – von Beginn an offen für diese gar nicht so neue Idee. Schon bald war er ein energischer Befürworter einer Gründung und sagte jede Unterstützung zu. Und genau das tat er auch in den folgenden Jahren. Er war einer der 38 Gründungsmitglieder der Gesellschaft, die heute, man mag es kaum glauben, knapp 700 Mitglieder hat. Mit der Einrichtung unseres Kuratoriums stellte er sich als dessen Mitglied zur Verfügung. Und er ließ es sich auch nicht nehmen, zu den jährlichen Sitzungen des Kuratoriums nach Hamburg anzureisen. Dabei mag auch erwähnt werden, dass er selbstverständlich nie Reisekosten geltend machte, sondern im Gegenteil stets zur Verfügung stand, wenn wir eine Spende zur Durchführung eines Symposiums benötigten.

Er warb erfolgreich unter seinen Kollegen an der Keiō-Universität, in Japan und in Deutschland für den Eintritt in die DJJV und er trat als Redner bei vielen unserer Veranstaltungen auf. Im Übrigen war er regelmäßiger Verfasser von Beiträgen in unserer in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut in Hamburg herausgegebenen und beim Heymanns-Verlag erscheinenden „Zeitschrift für Japanisches Recht“.

Mit anderen Worten: Ohne den Brückenbauer und Brückengänger MIYAZAWA Kōichi wäre die DJJV in dieser Form nicht entstanden und ohne seine unermüdliche Hilfe wäre sie heute nicht das, was sie erfreulicherweise ist. Das eingangs erwähnte Telefonat hat nicht nur für mich persönlich sondern auch für die DJJV reiche Früchte getragen.

 

Noch ein Wort von Phoebe Stella HOLDGRÜN:
Herr GROTHEER reiste 1966 als Student zum ersten Mal nach Japan, als Teilnehmer einer Reise mit insgesamt 100 deutschen Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, die dort ein zweimonatiges Praktikum in verschiedenen japanischen Unternehmen ableisteten. Diese Gelegenheit bot sich, da GROTHEER tatsächlich nicht nur Jura, sondern auch Volkswirtschaften studierte. Zum Glück, muss man sagen, denn diese Reise, bei der er in Japan Land und Leute sowie ein großes Unternehmen kennen lernen konnte, hat einen tiefen Eindruck hinterlassen und ihn dazu bewegt, nach seiner Rückkehr noch im selben Jahr Mitglied der Hamburger Deutsch-Japanischen Gesellschaft zu werden – was er bis heute ist.
Das JDZB und die DJJV verbindet seit über 30 Jahren eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, während der beide Institutionen eine Reihe von gemeinsamen Veranstaltungen ausgerichtet haben, darunter auch Mitgliederversammlungen der DJJV im JDZB.

Alle Fotos wurden vom Autor zur Verfügung gestellt.

 

 

Dr. Jan Grotheer

Dr.
Jan
GROTHEER

Profil der Autorin/des Autors

Präsident des Hamburger Finanzgerichts (Oktober 1997 - November 2010).
Gründungsmitglied und Spiritus Rector der im Jahre 1988 gegründeten Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung e. V. (DJJV) und von 1995 bis November 2019 deren Präsident, heute Ehrenpräsident.
2013 wurde ihm für seine Verdienste um die freundschaftlichen Beziehungen zwischen japanischen und deutschen Juristen und Juristinnen der Orden der Aufgehenden Sonne am Band verliehen.
2016 wurde GROTHEER das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen.